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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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wird. Na, was ist?«
    Martin schüttelte den Kopf, doch seine Rechte griff – wenn auch widerstrebend – nach dem Dolch, den ihm der Fremde hinhielt. Der Griff des Messers fühlte sich angenehm kühl an, und er genoß die Empfindung ebenso wie die Illusion der Macht, die ihm der Besitz der Waffe verlieh.
    Francetti lächelte. Es war das überzeugende Lächeln eines Mannes, der sich seiner Sache sicher ist, und gerade das machte Martin mißtrauisch.
    »Und was wird aus mir?« erkundigte er sich schließlich. »Ein nackter Zwerg wie dieser Rodman?«
    »Du bist ein Narr, Martin«, versetzte der Fremde, »nicht unsympathisch, aber ein wenig schwer von Begriff. Da die äußere Wahrnehmung und die individuell verstreichende Zeit dieser – Wesen eine Illusion ist, besitzen sie auch keinen Körper, obwohl sie natürlich das Gegenteil beschwören würden. Sie sind Teil ihres eigenen Traumes, sonst hätte unser Freund Molinos doch nicht spurlos verschwinden können, oder?«
    Das klang plausibel, doch noch war Martin nicht überzeugt.
    »Und wer garantiert mir, daß mein Traum Bestand hat? Schließlich kann ich mich ja nicht mehr wehren, wenn ich einmal dort bin ...« Martin deutete auf eine Lücke zwischen den schimmernden Kugeln.
    »Niemand«, erwiderte Francetti ernst. »Leben bedeutet Risiko, selbst wenn es nur ein Traum ist. Seine Einzigartigkeit besteht ja gerade in der Gewißheit, daß es irgendwann zu Ende sein wird.«
    Der Fremde hatte recht, aber das machte Martins Entscheidung nicht leichter. Er mußte ein menschliches Bewußtsein auslöschen, um selbst wieder leben zu können. Daß kein Blut fließen würde, war dabei ohne Belang.
    Unschlüssig ließ Martin seinen Blick über die samtschwarzen Regalwände schweifen. Manchmal beugte er sich über eine der schimmernden Kugeln betrachtete ihren Inhalt mit einer Mischung aus Mitgefühl und Abneigung.
    »Offensichtlich brauchst du ein wenig Unterstützung«, ließ sich Francetti vernehmen und nahm eine perlmuttfarbene Kugel aus den oberen Ablagen. »Joseph Grünthal, 68 Jahre alt, unheilbar krank. Die Ärzte haben ihn aufgegeben und in ein Einzelzimmer gesteckt, wo er sterben wird. Er leidet Höllenqualen, weil er zuwenig Morphium bekommt. Schau ihn dir ruhig an, mein Freund.«
    Martin trat näher und beugte sich über die von winzigen schwarzen Rissen durchzogene Kugel. Der Fremde hatte nicht übertrieben. Dieser Mann würde sterben. Schon bald. Die fahle Haut spannte sich wie Pergament über den Knochen seines ausgemergelten Körpers. Seine Augen lagen tief in den Höhlen des haarlosen Schädels und starrten ins Leere. Das Gesicht des Kranken war nicht mehr als eine wachsfarbene, schmerzerfüllte Maske.
    Martins Rechte umkrampfte den Griff des Messers.
    Im diesem Augenblick drehte der Sterbende seinen Kopf zur Seite, und seine blassen Lippen verzerrten sich zu einem mumienhaften Lächeln. Offenbar hatte er etwas gesehen, das ihn sein Leiden vergessen ließ, denn seine Augen leuchteten förmlich auf und füllten sich mit Leben. Martin wußte nicht, wem die Aufmerksamkeit des todkranken Mannes galt, aber er erkannte, daß er um jeden Augenblick kämpfen würde, der ihm noch blieb.
    Die Hand mit dem Messer sank herab.
    »Ich kann nicht«, flüsterte Martin unglücklich.
    »Schon gut«, beruhigte ihn der Fremde und legte die Kugel zurück an ihren Platz. »Ich kann dich verstehen, auch wenn es für den alten Mann besser gewesen wäre, wenn du dich seiner angenommen hättest.«
    Ein Schatten glitt über Francettis Gesicht, das aber gleich darauf wieder den gewohnt wohlwollenden Ausdruck zeigte.
    »Aber vielleicht kannst du dem Mädchen hier helfen, das zwar gesund ist, aber ohne deine Hilfe auf sehr unangenehme Weise sterben wird.«
    Die Kugel, auf die der Fremde wies, befand sich unmittelbar vor Martin in Augenhöhe, und ihre grazilen Wände erschienen beinahe durchsichtig.
    Das dunkelhaarige Mädchen in ihrem Inneren sah allerdings nicht so aus, als benötige es Hilfe. Seine verführerische Nacktheit irritierte Martin und machte ihn ein wenig verlegen. Offenbar wartete es auf jemanden, denn es trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und zupfte sein unsichtbares Kleid zurecht.
    »Monica Marquez, 17 Jahre«, erklärte Francetti mit kaum unterdrückter Nervosität. »Sie wartet in einem Hotelzimmer auf ihren neuen Freund José, der unter seinem richtigen Namen Mario Guzman in fünf Bundesstaaten zur Fahndung ausgeschrieben ist. Er handelt mit Organen. Er wird ihr

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