Die Schatten des Mars
Plasmakugel, die keinerlei innere Struktur erkennen ließ. Ihre Oberfläche schien leicht zu pulsieren, aber das konnte auch eine Täuschung sein, die ihm seine überreizten Netzhäute suggerierten. Claasen blieb keine Zeit, sich Klarheit zu verschaffen, denn im nächsten Augenblick fiel die Feuerkugel in sich zusammen und erlosch. Es gab kein Nachglühen, keine schwelenden Trümmer, nichts – nur Dunkelheit, die allmählich dem vertrauten Dämmerlicht der fernen Sonne wich.
Zögernd und immer noch ein wenig ungläubig richtete sich Claasen auf. Seine Knie schienen wachsweich, aber sie trugen ihn, und das Schwindelgefühl verging rasch.
»Ribero?« rief er mit heiserer Stimme, bevor ihm einfiel, daß ihn der andere nur über Funk hören konnte. Er schaltete den Sender ein, und sah im gleichen Augenblick, wie sich nur ein Dutzend Meter entfernt eine schattenhafte Gestalt aufrichtete. Es sah irgendwie unbeholfen aus. Hatte sich R i bero verletzt?
»Mierda, compadre!« dröhnte in diesem Augenblick die Stimme des Spaniers aus den Kopfhörern. »Hab mir wohl den Knöchel verstaucht.« Es klang nicht sehr beeindruckt, und Claasen verspürte plötzlich ein verdächtiges Zucken in der Zwerchfellgegend. Er wußte, daß es nicht fair war, aber er konnte es nicht aufhalten. Das Gelächter brach mit unwiderstehlicher Gewalt aus ihm heraus, schüttelte ihn wie ein Krampf und trieb ihm Tränen in die Augen.
»Sorry ... Carlos«, entschuldigte er sich, als er wieder zu Atem gekommen war. »Ich war nur so verdammt froh, deine Stimme zu hören.«
Die beiden Männer wurden noch in der Nacht von einem Suchtrupp der Amerikaner aufgenommen. Der Rover hatte vor seiner Zerstörung noch einen Notruf abgesetzt, und die Signale der Peilsender waren leicht zu orten. Tim Claasen und Carlos José Ribero kamen mit einem Schock und leichten Erfrierungen davon. Trotz einer Nachttemperatur von achtzig Grad unter Null und erschöpfter Akkus hatten die Isolieranzüge standgehalten. Kapitän Martin Lundgren, der dem Bericht der beiden Gestrandeten aufmerksam gelauscht hatte, war der erste, der die Unglücksstelle bei Tageslicht besuchte, und als er ins Camp zurückkehrte, spielte ein Lächeln um seine Lippen. Wenn er recht behielt, würde an diesem Ort bald mehr entstehen als nur ein neues Gewächshaus ...
Dennoch dauerte es noch zwei Jahre voller Spekulationen und Fehlschläge, bis das Clarith – man hatte das auf der Erde unbekannte Mineral nach seinen Entdeckern benannt – gefahrlos abgebaut und wirtschaftlich genutzt werden konnte. Welcher Art die kernphysikalischen Prozesse waren, die das Clarith zu einer fast unerschöpflichen Energiequelle machten, blieb zunächst ungeklärt, aber das ändert nichts daran, daß ein neues Zeitalter angebrochen war: Das Tor zum Mars stand weit offen.
Der Spielzeugmann
Die Tage gingen dahin, reihten sich zu Wochen, Monaten und Jahren, in denen Julius Fromberg wie ein Einsiedler lebte, während das von ihm gegründete Unternehmen wuchs und gedieh.
Die ehemalige Autowerkstatt war einer schmucken Fertigungshalle gewichen, über der grün leuchtend das Logo der Gemky GmbH prangte. Julius hatte Walter Nägele zum Betriebsleiter ernannt, der sich mit der ihm eigenen Zuverlässigkeit um das Tagesgeschäft kümmerte. Er selbst zog sich hingegen immer mehr aus dem Unternehmen zurück. Hin und wieder befaßte er sich noch mit Detailverbesserungen, an denen er jedoch, kaum daß sie in die Produktion überführt waren, das Interesse verlor.
Die Phasen, während derer er jeglichen Kontakt mit der Außenwelt verweigerte, wurden dagegen immer länger, und niemand – auch Walter Nägele nicht – hatte auch nur den Schimmer einer Vorstellung, was er in dieser Zeit trieb.
Das wußte Julius selbst nicht so genau, der zwar spürte, wie ihm die Dinge entglitten, aber kaum etwas dagegen unternahm. Die Träume waren intensiver geworden, und manchmal verbrachte er Stunden in einer Art Dämmerzustand, unfähig, sich zwischen den bizarren Landschaften seiner Träume und der gewohnten Umgebung zu entscheiden.
Es war eine besondere Art von Fernweh, die Julius erfaßt hatte und ihn schließlich sogar dazu brachte, seine Abneigung gegen die Welt außerhalb seiner persönlichen Wahrnehmung zu überwinden. Er war mittlerweile überzeugt davon, daß die Landschaften seiner Träume tatsächlich existierten, und so dauerte es nicht lange, bis er im Internet auf die ersten Bilder stieß, die diesen Verdacht bestätigten.
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