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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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das matt schimmernde Display. Ein Tastendruck nur, und das Gerät würde zum Leben erwachen, sich automatisch über die Multicom-Schnittstelle in das örtliche Netz einloggen und ihr die Möglichkeit geben, in jenes weltumspannende Datenlabyrinth einzutauchen, das ihr früheres Leben bestimmt hatte. Man würde ihr vermutlich nicht sofort auf die Spur kommen – ein Firmware-Update hatte den Rechner in den Status informeller Jungfräulichkeit versetzt –, dennoch war das Risiko zu groß. Irgendwann würde sie einen Fehler machen, und dann konnte keine Tarnung der Welt sie mehr schützen ...
    Um das Risiko zu minimieren, hatte Miriam dafür gesorgt, daß die entscheidenden Schlüsselwörter, Netzadressen oder Suchpfade ihrem Zugriff entzogen blieben. Sie hatte sie vergessen, so wie sie die Namen ihrer ehemaligen Mitarbeiter vergessen hatte und am Ende sogar ihren eigenen. Der hypnotische Block, hinter dem alle diese Informationen verborgen lagen, war keine Konzession an ihre früheren Auftraggeber, sondern Voraussetzung für den Ausstieg. Das galt auch für die chirurgischen Veränderungen an ihrem Körper, an die sie sich noch immer nicht gewöhnt hatte. Miriam sprach nach wie vor nur das Nötigste, um die ihr fremde Stimme nicht hören zu müssen, und sie hütete sich, jenseits von hygienischen Notwendigkeiten ihr Spiegelbild zu betrachten. Die Hauttransplantate waren angewachsen, die mikrochirurgischen Nähte verheilt; sie sah buchstäblich mit anderen Augen und hatte alles vergessen, was sie kompromittieren konnte, dennoch hatte sich ihr Traum von einem neuen, selbstbestimmten Leben als Illusion erwiesen. Im Grunde ihres Wesens war sie immer noch sie selbst. Die Erinnerungen und Bilder, die sie in sich trug, waren vermutlich nur mit einer Mnemotomie auszulöschen – einem Verfahren, das sie in eine sabbernde Idiotin mit der Weltsicht eines Neugeborenen verwandeln würde. Das hätte sie auch billiger haben können ...
    Trotz allem haderte Miriam nicht mit ihrer Entscheidung. Unter den gegebenen Umständen war es die einzige Möglichkeit gewesen, sich wenigstens einen Rest an Selbstachtung zu bewahren. Sie war jetzt 39 Jahre alt, immer noch attraktiv, wie ihr die Blicke männlicher Zufallsbegegnungen bestätigten, und finanziell unabhängig. Sie konnte einen netten Mann heiraten, Kinder bekommen und ein bescheidenes sinnerfülltes Leben führen wie die Frauen jener Pioniere, die einst den amerikanischen Westen erschlossen hatten. Natürlich war auch das eine Fiktion, aber wenigstens eine angenehme. Miriam würde sich niemals sicher genug fühlen, um ein derartiges Risiko in Kauf zu nehmen. Was sie selbst tat oder unterließ, war ihre Angelegenheit. Aber sie würde niemals Kinder in eine Welt setzen, in der sie als Köder oder Zielscheiben mißbraucht werden konnten, nein, gebraucht werden würden, falls man ihr auf die Spur kam. Leute wie sie hatten keine Familie und auch keine Freunde, sie waren gezeichnet ...
    Sie würde allein leben, einem flüchtigen Abenteuer nicht abgeneigt, sofern sich die Gelegenheit ergab, aber immer darauf bedacht, daß ihr niemand wirklich nahe kam. So war es in den letzten fünfzehn Jahren gewesen, und so mußte sie es auch weiterhin halten. Sie war noch immer die Spinnenkönigin. Die neue Haut hatte nichts daran geändert.
    Natürlich vermißte sie die Erde, den blauen Himmel und das Meer; was ihr jedoch am meisten fehlte, war das Netz. Darin einzutauchen war wie eine Reise in das Bewußtsein einer gigantischen, allwissenden Wesenheit, der kein Ort fremd war, keine Theorie unverständlich und keine Vorstellung zu kühn. Es war ein Labyrinth ohne Anfang oder Ende mit Millionen von Verzweigungen, Geheimgängen, Irrwegen und Türen, hinter denen das Laster und die Perversion ebenso ihren Platz hatten wie die lichtüberfluteten Höhen der Erkenntnis. So chaotisch dieses Nebeneinander auch anmuten mochte, unterlag es doch Regeln, und selbst jene, die sich im Dunkel der Anonymität geborgen glaubten, hinterließen Spuren.
    Es gab keine Sicherheit im Netz, das war die erste und wichtigste Maxime, die Miriam verinnerlicht hatte, gefolgt von einer zweiten, nicht minder existentiellen: Jäger und Gejagter waren austauschbar ...
    Wie bei Spiel- oder Drogensüchtigen gab es nur eine Möglichkeit, den Teufelskreis zu durchbrechen: bedingungslose Abstinenz. Miriam hatte sich in diese Notwendigkeit gefügt, aber der Preis war hoch. Es war ein Leben in der Isolation, bar jeglicher intellektueller

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