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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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wiederholen, bevor der Junge verstanden hatte und sich mit einem gemurmelten »Grazie, Signore« zurückzog. Auch er hatte Martin nicht ins Gesicht gesehen.
    Das Lärmen der Kinder war verstummt. Es wurde still. Zu still. Lag das wirklich nur an der Mittagshitze?
    Beunruhigt richtete sich Martin auf und sah hinunter zum Strand. Die Kinder waren noch da, drei, vier, vielleicht ein halbes Dutzend. Aber sie lachten nicht mehr, und sie liefen auch nicht weiter den Wellen entgegen, die sich träge dem Ufer entgegenwälzten. Sie standen stumm und starrten hinaus aufs Meer. Zwei von ihnen, ein Junge und ein Mädchen, hielten sich an den Händen. Sie sahen winzig und verloren aus, wie ein Geschwisterpaar, das sich verirrt hatte.
    Etwas würde geschehen.
    Die junge Frau am Nachbartisch schien es ebenfalls zu spüren, denn sie hatte ihr Buch weggelegt und war nach vorn ans Geländer getreten. Eine Zeitlang sah sie hinüber zu dem schmalen Dunststreifen am Horizont, dann nahm sie ihre Sonnenbrille ab und drehte sich zu ihm herum.
    Als sich ihre Blicke trafen, erstarb das Lächeln auf Martins Lippen.
    Es waren ihre Augen.
    »Ich bin es wirklich, Marty«, sagte die dunkelhaarige Frau und ging einen Schritt auf ihn zu. »Verzeih mir.«
    Es war ihre Stimme.
    Martin sagte nichts. Seine Kehle war wie zugeschnürt.
    Anna! Sie war es wirklich!
    Er faßte sich erst, als er sah, wie der Körper der jungen Frau plötzlich ins Taumeln geriet. Martin sprang auf und konnte im letzten Augenblick verhindern, daß sie stürzte.
    Wie oft hatte er Anna so in den Armen gehalten, d a mals ...
    Sie sprachen nicht. Und sie lösten sich auch nicht voneinander, obwohl Martin spüren konnte, wie die Kraft in Annas Körper zurückkehrte. Sie schlang ihre Arme um seine Schultern und preßte ihn an sich. Fest. Martin atmete den Duft ihrer Haut, ihres Haares ein, und wußte, daß er sie nie mehr loslassen würde. Nie mehr ...
    Ein dumpfes Grollen durchbrach die Stille. Eigentlich war es weniger ein Geräusch, als vielmehr ein tiefe Vibration, die er mit jeder Faser seines Körpers spüren konnte.
    Etwas würde geschehen.
    Er sah, wie sich am Horizont etwas Dunkles aus dem Nebel löste, etwas, das sehr rasch größer wurde. Martin wußte, daß es kein gewöhnliches Unwetter war, das sich da auf sie zu bewegte, doch seltsamerweise berührte es ihn kaum. Es war nicht mehr wichtig ...
    Der anderen Gäste des Lokals waren ebenfalls aufgestanden, selbst der Wirt und die Signora hatten den kühlen Schatten des Gebäudes verlassen. Sie bewegten sich wie Schlafwandler, kein einziger sprach. Es roch verbrannt. Der Koch hatte vergessen, das Fleisch vom Grill zu nehmen. Dann wurde es dunkel. Das Meer glänzte schwarz und geheimnisvoll im Schatten der heranjagenden Riesenwoge. Martin schloß die Augen und zog Anna noch ein wenig fester an sich.
    Das Dröhnen wurde lauter, es klang jetzt wie das Brüllen eines riesigen, vorzeitlichen Ungeheuers, aber es vermochte Martin keine Furcht einzuflößen.
    Was sollte ihm schon passieren? Anna war doch bei ihm.
    Dann fiel die Dunkelheit herab und hüllte sie ein in ihr Gewand aus Nacht und Stille.
     
    Martin erwachte mit schmerzenden Gliedern und vollkommen orientierungslos. Als etwas Weiches seine Hand berührte, fuhr er erschrocken auf und beruhigte sich erst, als er erkannte, daß es nicht Schlimmeres als Meropes Zunge gewesen war.
    Gleichzeitig wurde ihm auch klar, wo er sich befand: direkt vor dem Eingang des Felsentores. Die beiden Rummdogs hatten hier auf ihn gewartet. Was hätten sie auch sonst tun sollen? Jetzt, da er endlich ein Lebenszeichen von sich gegeben hatte, tänzelten sie aufgeregt um ihn herum und bellten auffordernd. Offensichtlich freuten sie sich, ihn wiederzusehen. Natürlich wußte Martin, daß ihre Begeisterung ausschließlich das Resultat geschickter Programmierung war, dennoch empfand er beinahe so etwas wie Rührung. Mittlerweile hatte er sich so an die Rummdogs gewöhnt, daß er sich ein Leben ohne sie kaum noch vorstellen konnte.
    Nachdenklich sah er hinüber zum Höhleneingang und fragte sich, wie er überhaupt hierher gekommen war. Er konnte sich nicht an den Rückweg erinnern. Wahrscheinlich hatten sie ihn zurückgebracht, auf welche Weise auch immer. Es würde interessant sein, die Videospeicher der Rummdogs auszulesen, auch wenn die entsprechenden Aufzeichnungen wahrscheinlich längst gelöscht worden waren.
    Wie lange war er eigentlich unterwegs gewesen?
    Martin sah zur Uhr: kurz nach elf –

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