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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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«Sommer der Sünde». Im Halbdunkel schien der Umschlag immer noch das Sonnenlicht zu reflektieren. Unter einem strahlend blauen Himmel ein gelbes Kornfeld, vier braungebrannte Mädchen, die darin Verstecken zu spielen scheinen, ein harmloses Landidyll, wenn da nicht dieses vieldeutige Lächeln auf den jungen schönen Gesichtern gewesen wäre. Der Fotograf hatte sein Metier verstanden. Wie hatte er die Mädchen dazu gebracht, so unschuldig und gleichzeitig so durchtrieben zu wirken? Oder hatte er sich gar nicht viel Mühe geben müssen? Vielleicht sehen sie alle so aus, die Mädchen mit sechzehn, siebzehn.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich regungslos dagesessen hatte, meinen Erinnerungen ausgeliefert, Hanna ausgeliefert, in ihrem Netz gefangen, genau wie damals.
    Ich musste eingeschlafen sein. Es war früher Morgen, als ich endlich aufstand, mit steifen Gliedern ins Haus ging und mir einen Kaffee kochte. Der Tag begann, und er brachte genügend Aufgaben mit sich, die mich forderten. Ich durfte mich nicht von einer längst vergangenen Geschichte lähmen lassen.
    Mein Leben war gut, wie es war. Es war ausgefüllt. Manchmal sogar so sehr, dass ich nachts nicht abschalten konnte, weil die Ereignisse des Tages noch immer hinter meinen Schläfen ratterten. Seit ein paar Jahren beriet ich eine Fernsehredaktion zu einer Serie über das Alltagsleben einer Pfarrerin. Ich las die Drehbücher, um die gröbsten Schnitzer auszumerzen, die den Autoren unterliefen, und war auch hin und wieder mit am Set, weil die Szenenbildnerin nicht in der Lage war, ein protestantisches Pfarrhaus von einem katholischen zu unterscheiden. Dazu kam meine monatliche Kolumne in einem evangelischen Magazin, einem Blatt, das immerhin eine Auflage von einer halben Million hat.
    Und dann noch die Vorbereitungen für meine erste Talkshow. Auf 3 sat, Sonntagabend, zwanzig Uhr fünfzehn, zur besten Sendezeit also. «Im Dialog mit Menschen». Ein zugegebenermaßen idiotischer Titel, denn dass sich eine Pfarrerin im Fernsehen nicht mit Hund und Katze unterhält, sollte zumindest bei einem Sender der öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Selbstverständlichkeit sein. Die Gäste für die erste Show standen schon fest. Es wurden eine ehemalige Bischöfin, der Chefredakteur eines Obdachlosenmagazins und ein provokanter SPD -Politiker erwartet. Mit dieser hochkarätigen Talkrunde würde ich mehr noch als durch meine Kolumne ein Millionenpublikum erreichen. Ein Publikum, dem etwas daran lag, Menschen zuzuhören, die tatsächlich etwas zu sagen hatten. Es sollte um die moralisch-geistige Wende gehen, die Deutschland so dringend nötig hat, um Themen wie Ehrlichkeit, Verantwortung und Solidarität.
    Die Mitarbeit bei der Pfarrhausserie und beim Sender war wie eine Energiespritze, wie ein Aufputschmittel, das mich aus meinem Alltagsleben herauskatapultierte. Niemand warnt einen vor Beginn des Theologiestudiums, dass ein Großteil des Lebens einer Pfarrerin aus Bürokram, Sitzungen und Telefonaten besteht. Dass man blasierte Teenager maßregeln muss, die im Konfirmationsunterricht simsen oder sich im Flirten üben. Und dass man umso inbrünstiger predigen muss, je leerer die Kirche am Sonntag ist, damit einem nicht auch noch die letzten Schäflein abspringen und die Kirche verkauft und zum Coffeeshop umgewandelt wird. Aber trotz aller Routine: Mein Beruf verschaffte mir Befriedigung, das Predigen genauso wie die seelsorgerischen Gespräche, in denen mir die Menschen ihre Nöte und Sünden anvertrauten. Ich hatte die Fäden in der Hand. Ich war Herrin über mein eigenes Reich.
    Bis zu dem Moment, als ich in meiner Küche stand und Hannas Buch in den Mülleimer warf, hatte ich mein Leben im Griff gehabt. Ich sah den Tag in lichtem, von rosafarbenen Streifen durchzogenem Blau herandämmern. Es würde wieder ein heißer Sommertag mit einem wolkenlosen Himmel werden. Einem trügerischen Himmel, der der Welt so etwas wie Unschuld vorgaukelte.

[zur Inhaltsübersicht]
    HANNA
    Jawohl, das lief alles ganz prächtig! Ich hatte allerdings auch lange genug darauf gewartet, nach all meinen Backbüchern. Sie waren Backbücher, weil ich sie schrieb, wie man Kuchen backt: ein Pfund Humor, 500 Gramm «sympathische Chaos-Frau in der Krise», 250 Gramm Erotik, 100 Gramm Sehnsucht, eine Handvoll origineller Nebenfiguren, alles schön locker verquirlt, mit Zuckerguss überzogen und obendrauf noch ein paar Cocktailkirschen. Fertig waren «Himbeersommer», «Montagsträume»,

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