Die Schatten schlafen nur
mit Eroglus Vermieter, diesem Bruno Schlüter, in Nierswalde verabredet.«
Auf dieser Fahrt nahm Astrid ihre Umgebung aufmerksamer wahr.
Van Appeldorn fuhr dieselbe Nebenstrecke wie am Morgen. Über Reichswalde, ein Dorf, das 1949 genau wie Nierswalde aus dem Reichswald herausgeschnitten worden war. Helmut hatte ihr das eben noch zwischen Tür und Angel erzählt. Vor ein paar Tagen war ein Artikel über die Siedlungsdörfer in der Zeitung gewesen – es stand schließlich ein Jubiläum ins Haus.
Zeitunglesen, für Astrid fiel das in letzter Zeit in die Kategorie Luxus. Morgens war es unmöglich. Da gab es hundert Dinge zu regeln, Frühstück, Katharina, die »’leine essen« wollte, die Kinderfrau, ihre Mutter, alles immer unter Zeitdruck. Und abends? Sie kam ja nicht einmal dazu, die Post zu öffnen. Vielleicht sollte sie die Zeitung mit ins Präsidium nehmen. Da hatte sie wenigstens manchmal ein paar Minuten Luft. Jammere nicht, schimpfte sie mit sich selbst, du hast es dir schließlich so ausgesucht und es kann nur besser werden.
Heute früh war es ruhig gewesen im Dorf, man hatte kaum Menschen draußen gesehen, jetzt herrschte geschäftiges Treiben. Überall wurden große Wagen geschmückt mit Korngarben, Gemüse, Blumen und glänzenden Bändern.
»Fahr doch ein bisschen langsamer, Norbert. Guck mal!« Vier Männer waren dabei, eine aus Ähren geflochtene Krone, die ein gutes Stück höher war als sie selbst, auf einen altmodischen Leiterwagen zu hieven.
Van Appeldorn bremste ab. »Erntedankfest«, sagte er. »Die machen hier jedes Jahr einen großen Umzug. Als meine Kinder noch klein waren, haben wir uns das öfter mal angeguckt. War ganz schön.«
Ein paar Leute hatten das langsam rollende Auto bemerkt und winkten stolz. »Welche Hausnummer hat Schlüter?«
»Siebzehn«, antwortete Astrid. »Das müsste da vorn links sein.«
Das »große, weiße Haus«, wie Eroglu es genannt hatte, sah mit seinen aufgesetzten Türmchen, den Rundbogenfenstern und den buchsbaumgefassten Blumenbeeten vor dem Portal eher aus wie ein Schloss.
Frau Schlüter, die ihnen öffnete, hatte allerdings wenig Adeliges an sich, dennoch war sie eine beeindruckende Erscheinung. Das lange, grau melierte Haar trug sie zu zwei dicken Zöpfen geflochten, ihre braune Haut sah aus wie gegerbt. Sie schüttelte beiden kräftig die Hand, dann drehte sie sich um und rief: »Bruni, Schatz, wo steckst du? Die Menschen von der Kripo sind da!«
»Ich fliege! Sekunde noch«, schallte es aus der oberen Etage zurück.
»Er ist gerade erst nach Hause gekommen und war noch im Habit«, erklärte sie, während sie die beiden Besucher vor sich her in den Wohnbereich dirigierte.
Auch hier machte sich Wohlstand breit: sparsam ausgestattet mit ausgewählten Möbelklassikern, honigfarbenes Parkett, an den Wänden großformatige, monochrome Gemälde. Nur die ausgefransten Wolldecken, die besabberten, alten Schuhe und die Plastiknäpfe, die überall herumflogen, passten nicht ins Bild.
Frau Schlüter hatte ihre Verwunderung bemerkt. »Ich züchte Retriever. Im Augenblick haben wir neun Welpen. Sie können sich trotzdem setzen. Auf die Polster dürfen die nämlich nicht.«
Dann schlug sie die Hände zusammen. »Ist das nicht unglaublich? Ich kann es nicht fassen, wirklich nicht. Meine armen Eroglus! Sie haben sich solche Mühe gegeben. Fast schon immer ein wenig zu freundlich. Wer tut denen so etwas an, frage ich Sie.«
»Eigentlich wollten wir Ihnen diese Frage stellen«, sagte van Appeldorn. »Unter anderem.«
In diesem Moment kam Bruno Schlüter herein. Auch er schätzte den kräftigen Händedruck, auch er sah mit seinen ausgebeulten Cordhosen und dem verwaschenen T-Shirt nicht aus wie ein Schlossherr. Bedächtig stopfte er sich eine Pfeife. »Was können wir für Sie tun?«
»Ich habe gerade gesagt, wie scheußlich diese Brandstiftung ist«, fing seine Frau wieder an. »Ich bin völlig fertig davon.«
»Es nimmt uns beide mit«, bestätigte Schlüter »Aber meiner Frau geht das besonders an die Nieren. Sie kennt die Eroglus schon sehr lange. Der Laden war quasi ihre Idee. Seit unsere Kinder aus dem Haus sind, kümmert sich Lore intensiv um unsere ausländischen Mitbürger.«
»Ja, richtig, ich bin seit etlichen Jahren schon Mitglied in der ›Meile‹. Das ist ein Verein, der …«
»Schon gut«, meinte Astrid schnell,_»den kennen wir.« Ihre Erinnerung an die ›wohltätigen‹ Leute war nicht nur angenehm.
»Also, ich hatte in den letzten
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