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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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jahrzehntelang an der Tagesordnung gewesen.
    Das Wetter war umgeschlagen. Die warmen Sonnenstrahlen der vergangenen Wochen hatten sich verkrochen, tiefe Wolken hingen am Himmel. Die Welt war grau in grau, und Fegan fühlte eine Schwere auf sich lasten, als er die Fahrertür aufmachte.
    Er setzte sich in den Wagen, ließ den Motor an und fuhr los. Jedes Mal wenn er ungeschickt schaltete, machte der Clio einen Satz. Es war schon lange her, seit er zum letzten Mal am Steuer gesessen hatte. Er fuhr in das Kreiselsystem hinein, das zur Autobahn Mi führte. In weniger als einer Stunde würde er in Belfast sein.

»Mensch, siehst du beschissen aus«, sagte Campbell.
    »Du kannst mich mal«, presste Eddie Coyle aus einer schmalen Mundöffnung hervor. Fegan hatte ihm zwei Zähne ausgeschlagen und den Kiefer ausgerenkt. Er sah aus, als hätte jemand aus roter und gelber Knete sein Gesicht modelliert und die Einzelteile dann zusammengenäht.
    »Halt deinen Mund!«, befahl McGinty von seinem Schreibtisch aus. Er deutete auf den Stuhl, neben dem Coyle stand. »Setz dich hin!«
    Getreu dem sozialistischen Dogma seiner Partei hatte McGinty sein eher bescheiden dimensioniertes Wahlkreisbüro mit rein funktionellen Dingen ausgestattet. Bilder republikanischer Helden wie James Connolly oder Patrick Pearse zierten die Wände. Über einer irischen Trikolore hing eine Karte von Irland, aufgeteilt in seine vier Provinzen.
    »Unser Freund in der Wache an der Lisburn Road hat heute Morgen einen Anruf von einem Hotelbesitzer abgefangen«, erklärte McGinty. »Würde auch Zeit, dass wir mal ein bisschen Glück hatten, nachdem ihr zwei so einen Bockmist gebaut habt.«
    Campbell deutete zuerst an die Decke und dann an sein Ohr.
    McGinty schüttelte den Kopf. »Wir sind sauber. Die ganze Bude wurde heute Morgen nach Wanzen abgesucht. Wie schon gesagt, unser Freund hat seine Sache gut gemacht. Er wird für seine Bemühungen einen netten kleinen Extrabonus erhalten und ihr zwei - wider besseres Wissen - die Chance, eure Fehler wieder auszubügeln. Glaubt ihr, dass ihr es schafft, diesmal nicht alles komplett zu vermasseln?«
    Campbell und Coyle gaben keine Antwort.
    »Wenn ich nicht darauf achten müsste, so wenige Leute wie möglich einzuweihen, hätte ich die Sache jemand anderem übertragen. Aber weil das eine heikle Angelegenheit ist, seid ihr jetzt am Drücker.«
    »Wo sind sie?«, fragte Campbell.
    »In Portcarrick. Ein kleines Küstendorf oben in Antrim. Sehr hübsch. In der Bucht gibt es ein altes Hotel, es heißt Hopkirk’s. Offenbar sind sie da spät in der letzten Nacht angekommen. Gerry Fegan, Marie McKenna und das kleine Mädchen.«
    Campbell kannte die Antwort schon, stellte die Frage aber trotzdem. »Was sollen wir machen?«
    McGinty starrte ihn an. »Dreimal darfst du raten.«
    »Und was ist mit der Frau?«
    McGintys Augen flackerten einen kurzen Moment. »Wenn sie Schwierigkeiten macht, dann tut, was ihr tun müsst.«
    Coyle wischte sich mit einem fleckigen Taschentuch den Sabber vom Kinn. Er lehnte sich auf seinem Stuhl vor. »Und das kleine Mädchen?«
    McGinty ließ seinen Stuhl kreiseln und schaute aus dem Fenster in den grauen Himmel. Er wischte sich den Mund und inspizierte dann seine Hand, so als erwarte er dort Blut. »Ich sagte: Tut, was ihr tun müsst.«
     
    »Auf keinen Fall werde ich einem kleinen Mädchen etwas antun.« Über das ratternde Motorengeräusch des Lieferwagens hinweg waren Coyles hervorgepresste Worte kaum zu verstehen. Sie hatten den Wagen am Morgen von einem Schrotthändler gekauft.
    Rote Farbe und Rost waren Campbell durch die Finger gerieselt. Er saß am Steuer.
    »Dazu wird es wahrscheinlich gar nicht kommen«, sagte er.
    »Könnte aber.« Coyle betastete seinen Mund.
    »Wir werden sehen. Weißt du, wie man da hinkommt?«
    »Ungefähr. Fahr auf die Mi. Dann immer weiter, bis du nach Antrim kommst, dann weiter Richtung Ballymena. Danach müssen wir nach Verkehrsschildern Ausschau halten.«
    Campbell durchquerte die Stadt in Richtung Osten, nahm die Falls Road und passierte den imposanten Divis Tower, einstmals ein Brennpunkt der Gewalt in Belfast. Die obersten beiden Stockwerke des zwanzigstöckigen Wohnblocks waren in den frühen siebziger Jahren wegen des guten Ausblicks über die Stadt von der britischen Armee in Beschlag genommen worden. Weil das Gebäude im Herzen militanten Republikanertums stand, hatten sie ihr Quartier nur per Helikopter erreichen können. Campbell hatte sich oft gefragt,

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