Die Schatten von Belfast
wie es wohl für die Bewohner der Etagen darunter gewesen war, die über ihrem Heim die Fußstapfen ihrer Feinde und das donnernde Getöse der Hubschrauber hörten, die Tag und Nacht Soldaten herbeischafften und wegbrachren. Vor zwei Jahren hatte die Armee die beiden Stockwerke aufgegeben. Campbell konnte sich vorstellen, dass sie ebenso froh gewesen waren, den Turm zu verlassen, wie die Einwohner, die sie abziehen sahen.
Der Lieferwagen fuhr auf den Westlink, der ihn auf die Mi und schließlich in die zerklüfteten Glens von Antrim bringen würde. Manchmal zuckte Campbell zusammen, wenn durch das Ruckeln des Fahrzeugs der Schmerz in seinem verletzten Oberschenkel aufloderte. Der zähfließende Verkehr, zusätzlich behindert durch die Straßenarbeiten weiter südlich, wo die Mi auf den Westlink traf, machte die Sache nur noch schlimmer. Was sollte eigentlich der ganze Fortschritt, wenn am Ende dabei nur Staus herauskamen? Den Frieden hatten die Menschen in Nordirland sich teuer erkauft, aber trotzdem hätte es Campbell nicht verwundert, wenn die verstopften Straßen sie mehr aufregten als alles andere.
Er warf einen Seitenblick zu Coyle auf dem Beifahrersitz. »Erklär mir doch mal was. Was hat es eigentlich mit McGinty und dieser Frau auf sich? Da muss doch mehr dahinterstecken, als dass sie nur mit einem Bullen gevögelt hat. Was gibt es da sonst noch?«
»Geht dich nichts an«, knurrte Coyle.
»Ach, komm schon.« Campbell grinste Coyle an. »Nur ein bisschen Tratsch, damit mir die Fahrr nicht so lang wird.«
Coyle seufzte und schüttelte den Kopf.
»Herrgott, jetzt red schon, du Blödmann. Warum sagst du es mir nicht?«
»Aus drei Gründen.« Coyle zählte mit den Fingern bis drei. »Erstens bist du ein Scheißkerl. Zweitens sind Fragen über Paul McGintys Privatleben eine hervorragende Methode, um sich den Hals zu brechen. Und drittens tut mir das Sprechen verflucht weh. Also halt jetzt deine Klappe und fahr.«
In der Luft dräute schon der heraufziehende Regen, als Fegan von der gegenüberliegenden Bushaltestelle Patsy Toners Büro beobachtete. Der Anwalt unterhielt seine Praxis in gemieteten Räumlichkeiten über einem Zeitschriftenladen in der Springfield Road. Draußen parkte sein Jaguar. Es war sieben Uhr, der Himmel hatte eine graue Decke über die Stadt gelegt.
Die Kopfschmerzen kamen in Wellen, begleitet von immer wieder aufkeimenden Übelkeitsattacken. Zwei Häuser weiter schimmerten die Schaufenster eines Spirituosengeschäfts im trüben Abendlicht. Fegan blendete es aus. Er wusste, dass Toner bald kommen würde. Der Anwalt wollte bestimmt einen trinken gehen. Dann konnte Fegan herausfinden, warum seine Verfolger diesen Cop haben wollten. Sobald er wusste, wer er war, würde er den Bullen herauslocken und dafür sorgen, dass er ihn verfolgte.
Und dann würde er es tun.
Der RUC-Mann würde Fegan verlassen, genau wie die anderen es getan hatten. Dann morgen oder übermorgen noch Campbell und McGinty, danach war er frei. Er schloss die Augen und stellte es sich vor: einen dunklen, geräuschlosen Raum, wo er sich hinlegen konnte, ohne Angst vor den Schreien zu haben.
Allein.
Das Wort hatte einen bittersüßen Beigeschmack. Er würde in Frieden die Augen zumachen können, aber er würde allein sein. Er würde abhauen und Marie und Ellen zurücklassen müssen. Aber wenigstens würden sie in Sicherheit sein, und das war schließlich das Wichtigste.
Er öffnete die Augen, als die Kälte in seinen Leib kroch. Die Schatten versammelten sich um ihn.
In Toners Fenster ging das Licht aus.
»Er kommt«, sagte Fegan.
Er ging über die Straße und zwängte seine Hände in ein Paar OP-Handschuhe. Die Beifahrerseite des Jaguars wies zur Straße hin. Fegan hockte sich an der Hintertür hin und umklammerte den Türgriff. Von Toners Büro ging es über eine schmale Treppe hinunter zum Hauseingang. Fegan hörte, wie schnaufend die Tür auf und zu ging, dann Schlüsselgeklimper. Toner sprach gerade in sein Mobiltelefon.
»Und habt ihr ihn?«, fragte er. »Bin echt froh, das zu hören. Hauptsache, sie versauen es diesmal nicht.«
Fegan hielt den Atem an und machte sich bereit.
»Lasst mich wissen, wenn die Sache erledigt ist. Darauf will ich einen heben.«
Er hörte ein Piepsen, als Toner das Gespräch beendete, dann ein metallisches Klicken, als er den Jaguar aufschloss. Warte, ermahnte Fegan sich, warte noch…
In dem Moment, als er hörte, dass Toner die Fahrertür aufmachte, zog er den Türgriff und
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