Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
Vom Netzwerk:
letzte Wahl, die erst zwei Monate zurücklag, hatte einen Wendepunkt markiert. Zum ersten Mal waren seine Landsleute in dem Wissen an die Urnen gegangen, dass sie tatsächlich eine echte Regierung wählten, dass es endlich vorbei war. Aber für wen vorbei?, hatte Fegan gedacht. Damals hatten die Kopfschmerzen begonnen. Die Schatten waren dunkler geworden, die Gesichter markanter. Er hatte versucht, nicht auf sie zu achten, ruhig zu bleiben, aber sie kehrten trotzdem zurück.
    Dann kamen die Schreie.
    An dem Tag, als Toner ihm einen Stapel Wahlkarten in die Hand drückte, hatte Fegan schon eine Woche nicht mehr geschlafen. Er wählte nur einmal und machte sein Kreuzchen bei einem, der die Benzinsteuer abschaffen wollte. Den Rest der Wahlkarten warf er in einen Mülleimer. Die Jungs hatten einen Wettbewerb gestartet, wer die meisten Stimmen abgeben würde. Eddie Coyle gewann, weil er in elf verschiedenen Wahllokalen insgesamt 18 Mal gewählt hatte. Das brachte ihm beinahe fünfhundert Euro ein, die ihm seine Frau aber sofort wieder abknöpfte. McGinty gab ihm noch einmal fünfhundert obendrauf, was Coyle klugerweise für sich behielt. Für McGinty waren fünfhundert Euro gut investiertes Geld, wenn er sichergehen wollte, dass er seinen Parlamentssitz behielt. Auf den Straßen erzählte man sich, dass die Parteiführung McGinty ausbooten wollte. Ihm hing der üble Geruch der alten Zeiten an, egal, wie sehr er sich abmühte, den Politiker zu geben. Aber wenn er ein solides Wahlergebnis erzielte, konnte die Führung ihn nicht einfach ausrangieren wie so viele andere auf dem Marsch in die Regierung.
    Ein allzu vertrauter Funke blitzte in Fegans Schläfe auf. Eisige Spinnweben durchzogen seinen Körper. Ein großes Hallo an der Bar verriet Caffolas Ankunft. Eigentlich hatte Fegan damit gerechnet, dass Caffola schon da sein würde, als er vor einer Stunde angekommen war, sonst hätte er sich die Tortur erspart, in Gesellschaft dieser Leute zu sein. Er beschloss, fürs Erste in seiner dunklen Ecke zu bleiben. Es war noch früh. Er hatte alle Zeit der Welt.
    Während der Schmerz hinter seinen Augäpfeln stärker wurde, beobachtete Fegan den anderen.
    Caffolas Schädel und sein goldener Ohrring reflektierten das dämmrige Licht. Sein Stiernacken und die breiten Schultern verliehen ihm einen Ausdruck von elementarer Kraft. Wie stark er war und wie grausam, davon konnte Fegan nun wirklich ein Lied singen. Es würde nicht einfach werden, aber Fegan konnte ihn schaffen.
    Wann und wo? Heute noch, wenn möglich. Irgendwo anders, vielleicht sogar bei Caffola zu Hause. Der Schläger war schon betrunken, wie sein Torkeln verriet. Vielleicht würde er früh wieder gehen. Vielleicht würde er aber auch von jemandem nach Hause eingeladen werden und die ganze Nacht durchsaufen. Wenn Fegan wusste, wo, dann konnte er ihm folgen, durch irgendein offenes Fenster einsteigen und Caffola erledigen, während der noch in seinem Suff lag.
    Ruhe und Geduld, dachte er, während die Schatten sich um ihn scharten. Ruhe und Geduld.
     
    Caffola erwischte Fegan auf der Toilette und drückte ihn gegen die kalten Fliesen. Während rotgesichtige Betrunkene blinzelnd in die Urinale stierten und sich die Beine vollpinkelten, traf die Gischt von Caffolas Spucke Fegans Gesicht wie kalte Nadelspitzen. Seine Fahne mischte sich mit dem Uringestank. Fegan schluckte die aufsteigende Galle hinunter.
    »Ich halte riesengroße Stücke auf dich, Gerry«, lallte Caffola. Seine Lider sahen aus, als wögen sie eine Tonne. »Ganz ehrlich. Du und ich, wir sind doch Kumpel? Richtig?«
    »Richtig«, sagte Fegan. Der Schmerz hinter seinen Augen pochte.
    »Ich sag dir das jetzt nur, weil ich dich respektiere, klar?« Caffola legte Fegan seine linke Pranke auf die Brust. Mit der Rechten stützte er sich über Fegans Schulter hinweg an den Fliesen ab.
    Fegan fixierte Caffola. »Klar.«
    »McGinty macht sich Gedanken über dich. Du warst doch immer einer von uns. Ich meine, alle wissen, dass du einer von uns warst, richtig?«
    »Richtig.« Fegan ignorierte die Kälte in seinem Körper.
    »Aber jetzt machst du dich rar, du säufst und benimmst dich total verrückt und so. Das ist nicht gut, Gerry.« Caffola legte Fegan die Hand auf die Wange. »Ich verklicker dir mal was. Für umsonst. McGinty will mit dir reden. Sich sozusagen mal Klarheit verschaffen. Er macht sich Gedanken, aber ich hab ihm gesagt, Paul, hab ich gesagt, mach dir mal über Gerry keine Gedanken, weil nämlich Gerry
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher