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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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sehen, was passiert.«
    »Guter Mann.« Caffola tätschelte Fegans Schulter.
    Immer mehr Teenager und junge Männer ließen den Pöbel anschwellen. Fegan wusste, dass die Cops sich zurückhalten würden, in der Hoffnung, dass sich die Aufregung von allein wieder legte. Meistens kam es auch so, und nur die Straßenreinigung musste am nächsten Morgen die verkohlten Reste beseitigen. Aber nicht heute Abend. Fegan konnte es spüren wie ein aufziehendes Gewitter. Die ganze Atmosphäre war aufgeladen.
    Er sah hinauf in den Himmel. Die Sache war zu schnell kulminiert, als dass sie noch einen Helikopter in die Luft gekriegt hätten. In den alten Zeiten hätten die Briten jetzt schon längst zwei oder drei von ihren Stützpunkten in Holywood oder Lisburn angefordert und binnen zehn Minuten den gesamten Bereich unter Beobachtung gehabt. Auch bei der morgigen Beerdigung wären welche im Einsatz gewesen und hätten über der Menschenmenge geschwebt. Aber heute Abend blieb der Himmel leer.
    Ein drahtiger rothaariger Junge, nicht älter als zwölf, zog einen brennenden Scheit aus der Barrikade. Halb rennend, halb hüpfend, machte er sechs Schritte und schleuderte das verkohlte Stück Holz mit aller Wucht von sich. Klackernd fiel es irgendwo zwischen der Barrikade und den wartenden Polizisten zu Boden und versprühte rote Funken. Die anderen Jugendlichen jubelten triumphierend.
    »Zum Teufel noch mal«, fluchte Caffola. »He!«
    Er wartete einen Moment, dann rief er noch einmal. »He! Du da!«
    Der Rothaarige drehte sich um.
    »Ja, du«, rief Caffola. »Komm her.«
    Der Junge näherte sich zögerlich.
    »Was soll das denn?«, fragte Caffola. »Bist du blöd?«
    »Nein«, sagte der Junge.
    »Dann stell dich auch nicht so an, verdammt noch mal. Zieh dir gefälligst irgendwas übers Gesicht, damit die Kameras dich nicht erwischen.«
    »In Ordnung«, sagte der Junge. Er zog ein zerknittertes Taschentuch aus seiner Tasche und kehrte zu seinen Kameraden an der brennenden Barrikade zurück. Dort band er sich aus dem verdreckten, quadratischen Tuch eine Maske über Mund und Nase.
    »Die Halbstarken heutzutage haben von nichts eine Ahnung.« Caffola schüttelte den Kopf. »Zu unserer Zeit hätten wir das hier schon längst in ein Schlachtfeld verwandelt. Molotowcocktails, Betonplatten, Schleudern mit Stahlkugeln.« Grinsend deutete er die Straße hinunter in Richtung der Landrover. »Und diese Arschlöcher da, die hätten schon längst mit Gummigeschossen auf uns geballert. Die Zeiten haben sich geändert, Gerry.«
    »Ja«, sagte Fegan. »Die Zeiten haben sich geändert.«
    In diesen Straßen hatte es mehr Unruhen gegeben als sonst irgendwo auf der Welt. Angefangen hatte alles mit den Bürgerrechtsprotesten in den Sechzigern, als Fegan noch zu jung gewesen war, um überhaupt zu wissen, worum es ging. Es folgte die allgemeinen Empörung über die Inhaftierungen in den frühen Siebzigern, als junge Männer ohne Prozess eingebuchtet wurden und Journalisten Kindern Fünf-Pfund-Scheine in die Hand drückten, damit sie Steine und Flaschen auf die Briten warfen, in der Hoffnung, dass sie damit eine weitere Straßenschlacht für die Kameras auslösten. Dann kam Anfang der achtziger Jahre die qualvolle Zeit der Hungerstreiks, als zehn Männer sich im Maze-Gefängnis zu Tode hungerten und damit die Glut auf der Straße erneut entfachten. Damals musste man niemandem mehr Geld geben. In der ganzen Stadt brodelte die Wut, und jeder kleinste Anlass konnte sie überkochen lassen. Randalierende Menschenmengen, Kinder, die als Waffen benutzt wurden - zu solchen Taktiken wurde in dieser Zeit gegriffen. Ein Foto mit einem blutenden Kind - ganz gleich, wodurch es verletzt worden war - besaß eine größere Sprengkraft als zehn Bomben. Politische Naturtalente wie Paul McGinty lernten schnell und handelten entsprechend. Wie oft hatte Fegan das schon erlebt - diese sinnlose Wut, die sich in Gewalt entlud. Er hatte es satt, und doch erregte es ihn auch.
    Weitere Männer streunten aus der Bar auf die Straße. Nur einige wenige, die lieber in Ruhe austrinken wollten, anstatt sich einzumischen, blieben drinnen.
    Patsy Toner klappte sein Mobiltelefon zu.
    »Und?«, fragte Caffola.
    »Er sagt, loslegen«, berichtete Toner. »Nur nicht übertreiben. Keine Sachbeschädigungen. Nur gegen die Bullen kämpfen und sonst gegen niemanden. Wegen der Beerdigung ist ein Haufen Presse da, die werden also alle herkommen, sobald es hier losgeht. McGinty lässt sich ungefähr in
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