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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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er es wusste.
    »Was ich da eben am Sarg gesagt habe.« Marie hielt den Blick starr nach vorn gerichtet.
    »Ich habe nicht gehört, dass Sie etwas gesagt haben.«
    »Haben Sie doch. Ich habe zwar nicht laut gesprochen, aber Sie wissen, was ich gesagt habe.«
    »Schätze ja«, sagte er, weil er es nicht über sich brachte zu lügen.
    »Jedenfalls habe ich es nicht so gemeint. Bitte erzählen Sie niemandem, dass ich es gesagt habe.« Sie wandte ihm den Kopf zu und schaute ihn an. Fegan hatte ein Flehen in ihren Augen erwartet, doch stattdessen waren sie so kalt wie Schiefer.
    »Warum sollte ich das jemandem erzählen?«
    »Ich weiß, wer Sie sind. Ich weiß, dass er Ihr Freund war. Ganz bestimmt habe ich Sie verletzt. Es tut mir leid. Bitte sagen Sie es niemandem.«
    Marie versagte die Stimme, und ihre Augen wurden sanft. Fegan fragte sich, ob sie Angst vor ihm hatte, und der Gedanke war ihm unangenehm. Früher einmal hätte ihm das vielleicht gefallen, aber jetzt nagte dieser Gedanke an ihm.
     
    »Ich sagen es niemandem«, versprach er. »Ich bin nicht mehr … bei denen. Da fühle ich mich nicht mehr …«
    Sie wartete, während er nach dem richtigen Wort suchte. »Zugehörig?«, fragte sie.
    Fegan tastete nach dem Türgriff, unschlüssig, ob er bleiben oder fliehen sollte. »Genau«, sagte er.
    »Das Gefühl kenne ich.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über Maries Lippen. »Man kann sich nicht aussuchen, wohin man gehört und wohin nicht. Aber was ist, wenn der Ort, an den man nicht gehört, der einzige ist, der einem noch geblieben ist?«
    Erwartete sie eine Antwort? Ihre Augen schauten fragend, so wie die der Psychologen im Gefängnis. Fegan dachte darüber nach. »Dann findet man sich entweder damit ab, oder man verschwindet. «
    »Alles klar.« Sie lächelte breit und errötete. »Nun hören Sie sich nur mal mein Geplapper an. Nichts als Fragen und wieder Fragen. Naja, jedenfalls danke für Ihr Verständnis. Und es tut mir leid. Ich habe es wirklich nicht so gemeint.«
    »Doch, das haben Sie.«
    Sie wurde so blass, als sauge ihre Haut die Röte ein. Ihr Lächeln verschwand. »Wie bitte?«
    »Sie haben es so gemeint«, wiederholte er und öffnete die Beifahrertür. »Und Sie hatten recht.«
    Fegan stieg aus und trat auf den Bürgersteig. Er beugte sich hinab und sah noch einmal zu ihr in den Wagen. »Er hat es verdient«, sagte er und machte die Tür zu.
    Einen langen Moment starrte Marie ihm noch durch die Scheibe hinterher, dann fuhr sie so abrupt los, dass ein schwarzes Taxi hinter ihr mit quietschenden Reifen bremsen musste. Wüstes Hupen folgte dem Clio, der die Straße hinunter verschwand.
    Fegan dreht sich einmal im Kreis und suchte nach Schatten. »Was ist bloß mit mir los?«, fragte er.

Wie eine Decke lag die Düsternis über der Bar und verbarg all die Männer, die lieber unbeobachtet tranken. Fegan schlenderte zwischen ihnen hindurch und vermied dabei Blicke und Worte. Er trank keinen Whiskey, sondern nippte an einem Guinness, damit er einen klaren Kopf für seine Arbeit behielt.
    Er hatte das Töten immer als Arbeit betrachtet. Einfach als einen Job, der erledigt werden musste, ohne besondere Sorgfältigkeit oder gar Gefühlsduselei. Für einen Meister seines Faches hielt er sich nicht, eher für einen Handwerker. Nicht wie andere Mörder, die ihr Gewerbe zu einer wahren Kunstform erhoben. Alles, was man brauchte, war eigentlich eine gewisse innere Härte, eine unwillkürliche Brutalität, die Bereitschaft, Dinge zu tun, für die sich andere Männer nicht hergaben. Vermutlich hatte er ein Talent dafür, genauso wie Caffola ein Talent dafür hatte, anderen Schmerzen zuzufügen. Und dieses Talent hatte ihm Respekt eingebracht.
    Aber wo lag die Grenze zwischen Respekt und Furcht? Wenn die Leute ihm in all den Jahren wissend zugenickt hatten, war das eine Respektsbezeugung gewesen oder ein Ausdruck der Angst, er könnte sich gegen eben jene wenden, die ihm da zunickten, sie fertigmachen wie so viele andere zuvor? Die zwölf Schatten, inzwischen nur noch elf, die Fegan seit sieben Jahren verfolgten, standen ja nur für die Leben, die er ausgelöscht hatte. Verletzt hatte er aber weit mehr.
    Bei dem Bombenanschlag auf den Metzgerladen hatte er, ohne es zu wollen, drei Menschen getötet. Er wusste, dass es noch andere Männer und Frauen gegeben hatte, die bei diesem blutigen Akt Arme, Beine oder Augen verloren hatten und zu einem qualvollen Leben verurteilt waren. Das Ringen darum, das ganze Gewicht,
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