Die Schattenflotte
diesem Zusammenhang. Für meinen Mandanten klang es jedenfalls so, als wenn es zwischen der Werft und Ihrem Unternehmen bezüglich dem Kaiser Friedrich irgendwelche Vereinbarungen gäbe.» Spätestens jetzt hätte Ballin denBriefwechsel mit Waldemar Otte anführen müssen. Aber er tat es nicht.
«Eine völlig haltlose Behauptung.» Innerhalb weniger Minuten hatte sich Ballins Miene vollständig verändert. Das gutmütige Lächeln war aus seinem Gesicht entschwunden. Seine Mundwinkel zuckten nervös, und der Blick signalisierte eine gefährliche Mischung aus Missmut und Feindseligkeit.
Die Situation war Sören unangenehm, und die raschen Stimmungsschwankungen machten ihm den Mann unheimlich. Aber Ballins Launenhaftigkeit zielte anscheinend nicht allein auf Sören ab. In diesem Augenblick öffnete Ballins Sekretär die Tür und kündigte einen Mr. Pirrie an, der soeben eingetroffen sei und im Vorzimmer warte.
«Nicht jetzt!», zischte ihm Ballin scharf entgegen, und der Sekretär schloss die Tür sofort wieder.
Sören erwartete jeden Augenblick, dass Ballins Erregtheit in einen Tobsuchtsanfall wechseln könnte, und er beschloss, sich zu empfehlen. «Jedenfalls konnten wir uns so einen komplizierten Briefwechsel zu einer lapidaren Angelegenheit ersparen.» Sören stand auf und dankte Ballin für seine Offenheit.
«Ich nehme doch wohl an, dass sich das Ganze damit erledigt hat», erwiderte Ballin, während er seinem Gast die Hand schüttelte. «Und falls es noch weitere ungeklärte Fragen geben sollte, dann zögern Sie nicht, mich erneut aufzusuchen.»
Sören war sich sicher, dass er schneller auf dieses Angebot zurückkommen würde, als es Ballin recht sein würde.
Auf der Werft
Die Lichter des Hafens, die sich auf dem Wasser spiegelten, ließen den Strom wie einen wogenden Teppich mit unzähligen, glitzernden Falten am Ufer entlangziehen. In wenigen Minuten würden die Gaslaternen im Zwielicht des winterlichen Abends die Oberhand gewinnen, aber noch schimmerte die Wolkendecke in einem schnell verblassenden Blauviolett über dem Horizont. Eine seichte Brise trug nasskalte Luft von Westen in die Stadt. Sören hatte gut daran getan, einen zweiten Pullover anzuziehen. Die filzige Wolle stauchte zwar unter der abgewetzten Joppe, aber es versprach eine lausige Nacht zu geben, und Sören wusste nicht, wie lange er heute unter freiem Himmel ausharren musste. Der alte Bowler mit der eingerissenen Krempe, das blaue Schweißtuch um den Hals geknotet, die stockfleckige Wollhose und die derben Lederschuhe, nichts unterschied ihn von den übrigen Gestalten, die auf den Anleger der St. Pauli Landungsbrücken zusteuerten.
Den Kragen hochgeschlagen, die Schultern zusammengepresst und die Hände in den Hosentaschen vergraben – Fräulein Paulina hatte wie immer geseufzt, als Sören vor einer halben Stunde die Kanzlei in der Schauenburgerstraße verlassen hatte. Sie mochte es nicht, wenn er in dieser Staffage auf Tour ging. Wahrscheinlich, weil sie sich darüber im Klaren war, dass sich ihr Chef bei den schwierigen Terminen, wie Sören es stets nannte, häufiggenug auch selbst in Gefahr brachte. Dabei gab es durchaus Situationen, wo es einfach angebracht war, die Kleidung den Verhältnissen anzupassen. Sören hatte inzwischen einen ganzen Fundus, aus dem er wählen konnte, und er bediente sich der Maskerade routiniert und zugegebenermaßen auch mit Leidenschaft. Gerade den Hafenarbeiter Sören nahm ihm inzwischen jeder ab. Und der war heute Abend wieder einmal gefragt.
Mathildas Nachforschungen zu Willi Schmidlein waren tatsächlich erfolgreich gewesen. Wo genau er sich aufhielt, hatte sie nicht in Erfahrung bringen können, aber sie hatte jemanden auftreiben können, der ihn kannte und vielleicht wusste, wo er war. Sie war eben doch eine richtige Spürnase. In der Partei besaß sie einen tadellosen Ruf, und sie verfügte über Kontakte, die Sören verschlossen waren. Es waren häufig genug Gruppierungen, die nicht immer konform mit den Vorgaben der Parteiführung agierten. Sören hatte sie nur darum gebeten, nicht an irgendwelchen heimlichen Zusammenkünften oder verbotenen Veranstaltungen teilzunehmen, wo sie schlimmstenfalls Gefahr lief, verhaftet zu werden, und bislang hatte es keine derartigen Zwischenfälle gegeben.
Er sollte sich bei einem gewissen Hans Thormann melden. Thormann war Vorarbeiter im Schraubenlager von Blohm + Voss. Schichtbeginn war um sechs Uhr abends. Bis dahin blieb noch genug Zeit.
Von den
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