Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
Vom Netzwerk:
dazugehörigen Schiffes verzeichnet. Einige hätte man mit der Hand anheben können, die meisten maßen eine Spannweite von schätzungsweise ein bis zwei Metern, aber es gab auch Schrauben, deren Flügel mehr als mannshoch waren. Sie waren geschliffen und poliert, an einigen Stellen glänzten bizarre Abriebmuster. Die goldgelbe Farbe des Messings dominierte.
    Thormann setzte sich auf einen besonders großen Schraubenflügel und feuerte seine Pfeife an. Er war etwa in Sörens Alter und hatte die grobporige, vom Wetter gegerbte Haut eines Seemanns. «Hat er was ausgefressen?», fragte er ganz ruhig, ohne dass der Name von Willi Schmidlein gefallen war. Aus der Ferne hörte man ein Signalhorn.
    «Wie man’s nimmt», antwortete Sören. «Auf jeden Fall ist er ein wichtiger Zeuge.»
    Thormann nickte und paffte ein paar Rauchkringel vor sich hin. «Nur, dass ich das richtig verstanden habe   …» Er blickte Sören eindringlich an. «Keine Polente, kein Zwang zu gar nichts. Nicht, dass er sich verraten fühlt.»
    «Ich möchte ihm nur ein paar Fragen stellen.» Sören zögerte. «Und ihm nahelegen, eine Aussage zu machen. Wenn er will.»
    «Und wenn er Gründe hat, zu schweigen, und keine Aussage machen will? Ich meine, ich kenne dich nicht. Man sagte mir nur, das ginge in Ordnung. Du wärst der Mann einer Genossin. Ein Paragraphenfuzzi.»
    «Ja, ich bin Anwalt und habe schon häufiger Genossen aus der Scheiße geholt. Von mir erfährt niemand etwas.»
    «Hmm.» Hans Thormann wirkte unschlüssig. «Vonmir hast du’s jedenfalls nicht», sagte er schließlich und deutete mit dem Mundstück seiner Pfeife auf einen der Stahlrümpfe. «Wir haben ihm was in ’ner Nieterkolonne besorgt. Übergangsweise. Als Einstecker. Er arbeitet am Vorderschott der SMS Friedrich Carl. Du kannst ihn nicht verfehlen. Ist ’n schmächtiger Rotschopf, der leuchtet schon von weitem. – Und nicht vergessen!», rief er Sören hinterher. «Von mir hast du’s nicht!»
    Die Arbeiter in den Nieterkolonnen waren ein Fall für sich. Jeder ein Spezialist, aber nur im perfekten Zusammenspiel aller aus der Gang. Allein von ihrer Kleidung her unterschieden sie sich vom Gros der Hafen- und Werftarbeiter. Als wäre es in der Tradition einer alten Handwerkszunft, trug man während der Arbeit Uniform: einen blau-weißen Kittel, um den Hals ein weißes Heizertuch gebunden, weite, blaue Schlaghosen und schwarze Lackschuhe. Eine Gang bestand aus vier bis fünf Männern: dem Warmmacher, der die Nieten in einem Ofen zum Glühen brachte, dem Einstecker, der die glühende Niete ins Loch steckte, dem Vorhalter auf der einen und schließlich dem Nietenklopper auf der anderen Seite, der die glühende Niete gegen den Druck des Vorhalters mit einem wuchtigen Hammer platt depperte. Für einige Bauteile setzte man inzwischen schon hydraulische Niethämmer ein, aber in der Mehrzahl überwog noch Handarbeit. Im Idealfall, vor allem aber bei mehr als einzölligen Nieten, arbeiteten zwei Nietenklopper im Wechselschlag, wobei das perfekte Zusammenspiel häufig erst in der sinnvollen Kombination eines Rechts- und eines Linkshänders funktionierte. Es kam darauf an, eine Niete nicht krumm zu hauen, sondern platt zu machen, was in etwa genauso viel Geschick und Übung voraussetzte wie das Einschlagen eines langen Zimmermannsnagels in ein trockenesStück Eiche. Einige benötigten nur drei, andere bis zu zwanzig Schläge, bis die Eisenteile zusammengeklütert waren.
    Der Lärm war fast unerträglich. Wie Pistolenschüsse peitschte der Widerhall der Schläge zwischen den eisernen Wänden. Am Vorschiff der SMS Friedrich Carl arbeiteten drei Kolonnen, wie Sören an den einzelnen Feuerstellen der Vorwärmer erkennen konnte. Das Zusammenspiel der Männer war wirklich spektakulär. Der Warmmacher hatte mehrere Zangen in der Glut vor sich liegen, in denen die unterschiedlichen Nieten steckten. In regelmäßigem Abstand wurden die Zangen gewendet, und der Mann begutachtete die weiß glühenden Bolzen; dann vergewisserte er sich mit einem kurzen Blick zum Einstecker, ob die anderen bereit waren, griff eine Niete mit einer weiteren Zange, holte kurz aus und schleuderte die glühende Niete in Richtung Einstecker, der das Geschoss mit einem Blecheimer aus der Luft auffing und das glühende Metall in ein gekennzeichnetes Loch im Rumpf des Schiffes steckte. Vor allem die Leichtigkeit, mit der der Warmmacher die Niete zielsicher über eine Distanz von bestimmt acht bis zehn Metern warf, war

Weitere Kostenlose Bücher