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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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auf die Schulter. «Gewöhnt man sich dran!»
    Sören lächelte ihn verlegen an und hoffte im Stillen, keine bleibenden Schäden davongetragen zu haben. Was auch immer in der Flasche war, er zweifelte daran, dass man einen Schluck davon überleben konnte.
    «Na, hat dir der Erwin was angeboten?» Der hagere Kerl, der neben ihnen stand, kannte die Wirkung anscheinend, wobei Sören nicht klar war, ob es sich dabei um einen schlechten Scherz handelte, den Erwin häufiger vorbrachte, oder ob es ihm Ernst damit war. Wenn Letzteres zutraf, dann musste der Kerl Schleimhäute und einen Magen aus Leder besitzen.
    «Mach dir nix draus. Das legt sich wieder. Hat jeder von uns schon probiert. Musst nur aufpassen beim Funkenflug.»
    Erwin entzündete wortlos ein Streichholz und feuerte seinen Stumpen an, als wollte er beweisen, dass die Flüssigkeit nicht brennbar war.
    «Ein Viertel, Mensch. Ein Viertel von meinem Lohngeht inzwischen für die Miete drauf», beklagte sich ein weiterer Arbeiter bei dem Hageren.
    «Und? Im November ausgezogen?»
    «Du meinst, heimlich?»
    Der Hagere nickte. «Was sonst? Bist doch selbst schuld, wenn du das bezahlst. Die verdienen sich dusselig und dämlich an uns. Ich mach jedes halbe Jahr die Fliege, und immer heimlich. Aber glaub man nich, dass es mir deswegen irgendwie besser geht. Fief Kinners muss ich satt kriegen. So viel Überstunnen hat der Tach überhaupt nich, wie ich malochen müsste.»
    Mit einem leichten Ruck setzte die Barkasse gegen die Kaimauer, bevor sie am Anleger längsseits ging. Die Gespräche verstummten, und alles setzte sich wie in Trance in Bewegung. Sören verlor die Männer schnell aus den Augen. Die Leute von der Reiherstieg-Werft schwenkten nach links in Richtung Kleiner Grasbrook, aber der weitaus größere Teil der Arbeiter hielt auf das Werkstor von Blohm + Voss zu. Er war schon häufiger auf dem Gelände gewesen und wusste, wie man sich am geschicktesten an den Pförtnern vorbeimogeln konnte. Ein ehemaliger Mandant hatte ihm dazu ein volles Stempelbuch besorgt, das er am Tor hochhielt. Wenn er in der hintersten Reihe ging, fiel es nicht auf.
    Wie erwartet sah der Pförtner nur mürrisch auf und blickte dem Strom der Arbeiter nicht nach. Sören hielt sich an eine Gruppe von Männern, die hinter dem Hauptbau in Richtung der großen Docks ging.
    Auch wenn er das Werftgelände kannte, war Sören jedes Mal erstaunt, wie es sich stetig veränderte. Seit seinem letzten Besuch waren zwei neue Helgen entstanden und ein gutes Dutzend neuer Kräne aufgestellt worden. Die riesigen Schiffsrümpfe in den Helgen dominiertenje nach Bauzustand die Umgebung. Im Licht der großen Bogenlampen warfen sie unheimliche Schatten. Über ihren Köpfen surrten die Kranausleger und trugen stählerne Platten zu ihren jeweiligen Bestimmungsorten. Der Klang von Eisen erfüllte die Luft, das Hämmern war ohrenbetäubend. Die Männer bogen nach rechts ab, und Sören schlenderte an den stählernen Kolossen vorbei in Richtung Schraubenlager.
    An den Umrissen konnte er erkennen, dass es vor allem Kriegsschiffe waren, die hier zurzeit auf Kiel gelegt waren. Als junger Mann hatte er davon geträumt, Schiffbauer zu werden, und wenn das Erbe seines Großvaters ihm nicht das Studium ermöglicht hätte, wäre es auch bestimmt so gekommen. Schiffe hatten ihn schon damals fasziniert, auch wenn es vor allem Klipper, Rennkutter und Yachten gewesen waren, allesamt aus Holz gebaut. Im Nachhinein war er natürlich dankbar über seinen Werdegang, denn das Schiffsbauerhandwerk hatte sich in den letzten zwei Jahrzehnten von Grund auf verändert. Eisen und Stahl überwogen und hatten die klassische Schiffszimmerei, von deren handwerklicher Romantik Sören damals so angetan gewesen war, in wenige Nischen verdrängt. Die großen Stahlpötte waren reine Ingenieurbauten, deren eigentliche Fertigung von Arbeitern ausgeführt wurde, die vom Bau eines Schiffes nicht unbedingt etwas verstehen mussten. Es waren die gleichen Fachkräfte, die auch Brückenteile, Träger oder Stützen vernieten konnten.
    Hans Thormann schien ihn erwartet zu haben. Er blickte nur kurz auf, als Sören seinen Namen nannte. Dann führte er ihn aus der kleinen Baracke, in der noch mehrere Männer rund um einen gusseisernen Ofen saßen. Das Schraubenlager war ein abgegrenzter Bereich, wo dieSchätze der Schmiedekunst in den unterschiedlichsten Größen und Formen auf Holzbohlen lagen. Auf den einzelnen Flügeln war mit weißer Farbe der Name des

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