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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Helgen am gegenüberliegenden Ufer tönte die monotone Geräuschkulisse schwerer körperlicher Arbeit herüber. Das Schlagen und Hämmern der dortigen Werften war das unvergängliche Lied des Hafens. Bevor Sören die kleine Barkasse am Anleger bestieg, vergewisserte er sich mit einem prüfenden Blick in die Menge, ob ihm jemand gefolgt war, dann kletterte er über die Bordwandund gesellte sich zu den anderen Gestalten, die darauf warteten, dass der Barkassenführer das Signal zum Ablegen gab.
    Es waren deutlich mehr als die erlaubten sechzig Personen an Bord, aber das kümmerte hier niemanden. Nicht die Arbeiter, die dicht gedrängt unter der Persenning beisammenstanden, und nicht den Kapitän der Barkasse, deren Maschine ein schwerfälliges, ungeduldiges Tuckern von sich gab. Es stank nach Öl und Schweiß. Immer noch drängten die Arbeiter auf das kleine Schiff, so lange, bis auch der letzte Stehplatz besetzt war. Alle waren die Enge gewöhnt, denn schon lange reichten die Kapazitäten der Übersetzer nicht mehr aus, um die stetig steigende Zahl der Werftarbeiter auf die andere Elbseite zu befördern. Vor Schichtwechsel herrschte auf dem Strom zwischen Steinwärder und St.   Pauli immer Hochbetrieb, und es war eine reine Frage der Zeit, wann es nach Einsetzen der Dunkelheit zum ersten großen Unglück kommen würde. Spätestens nächstes Jahr, wenn die neuen Seeschiffhäfen der Hapag auf Kuhwärder fertiggestellt waren, würde es eng werden; noch mehr pendelnde Barkassen hatten keinen Platz auf dem Wasser. Schon jetzt verweilten die Schiffe an den Anlegern nur so lange, wie zum Ein- und Aussteigen nötig war. Seit letztem Jahr diskutierte man in der Stadt deshalb tatsächlich den Bau eines Tunnels unter der Elbe.
    Ein kurzes Signal aus dem Horn neben dem Schornstein, dann setzte sich die Barkasse mit einem schnaubenden Stampfen in Bewegung. Kaum hatte das Schiff vom Anleger abgelegt und die Fahrt in Richtung Fahrrinne aufgenommen, wurde es zugig und kalt. Wegen des niedrigen Freibords schwappte immer wieder Wasser über die Bordwände, und die Passagiere drängten sich noch dichterzusammen. Neben Sören unterhielt sich eine Gruppe von Feuerern über den ihrer Meinung nach ungerechten Mehrlohn bei Überstunden. Nur 45   Pfennig zahlte Blohm + Voss demnach je volle Überstunde, was gegenüber den 33   Pfennig für die normale Arbeitsstunde kaum einen Mehrgewinn darstellte, weil die Warteschlangen an den Anlegern nach Schichtwechsel viel länger waren und man für den Heimweg daher fast die doppelte Zeit benötigte. Außerdem unterstellte man den Vorgesetzten, regelmäßig nur halbe und damit unbezahlte Überstunden anzusetzen.
    Die Gespräche während der knapp zehnminütigen Überfahrt waren immer die gleichen. Gespräche, wie sie auch in den Arbeiterkaschemmen und Kneipen geführt wurden. Einzig mit dem Unterschied, dass man hier keine Vigilanten der politischen Polizei zu befürchten hatte. Entsprechend offenherzig sprach man aus, was Sache war. Man motzte auf die Polacken und Italiener, welche die Bedingungen auf vielen Arbeitsplätzen versauten, weil sie sich mit deutlich geringeren Löhnen als ortsüblich zufriedengaben, man stöhnte über die erneuten Mietpreissteigerungen von bis zu 20   Prozent, die wie üblich wieder einmal nur die kleinen Wohnungen betrafen und zudem nur in Gegenden wie Rothenburgsort und Hammerbrook umgesetzt wurden, in denen überwiegend Arbeiter wohnten. Der Durchschnittsverdienst eines Hafenarbeiters lag bei etwa fünf Mark am Tag. Am besten wurden die Kohlenträger bezahlt. Für die staubige und schweißtreibende Arbeit erhielten sie bis zu acht Mark und fuffzig Pfennig.
    Die Barkasse hatte die Fahrrinne erreicht und stampfte durch die höheren Wellen, die im Wechsel der Gezeiten sowohl stromaufwärts wie auch -abwärts liefen und sichbrachen. In kurzen Schlägen knallte der Bug in die kabbeligen Wellen. Gischt schäumte auf und spritzte über Deck. Einige murrten kurz auf, dann vertiefte man sich wieder ins Gespräch. Ein vollbärtiger Hüne, der Kleidung nach zu urteilen ein Ketelklopper, der einen kalten Stumpen zwischen seinen fauligen Zähnen hielt, stieß Sören freundschaftlich in die Rippen und hielt ihm eine Flasche entgegen.
    «Das wärmt!»
    Sören nahm einen Schluck, spuckte die Flüssigkeit jedoch sofort wieder aus und schüttelte sich angewidert. Er hatte das Gefühl, sein Zahnfleisch würde ihm weggeätzt.
    Der Mann lachte lauthals auf und schlug Sören anerkennend

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