Die Schattenflotte
anwesend sein kann. Er ist natürlich untröstlich …»
«Dann ist ja zu hoffen, dass sich das Blatt noch zum Guten wendet.»
«Ja. Bleibt nur die Frage, wie wir an den restlichen Teil der Unterlagen von diesem Otte herankommen. Auch wenn wir nicht genau wissen, was er alles mit sich geführt hat, dürfen wir kein Risiko eingehen. Es wäre fatal, wenn das Material in falsche Hände gelangen würde. Von Bachtingen, wie weit sind Sie in der Sache?»
«Sie können sich ganz auf mich verlassen, Admiral. Wie Sie wissen, habe ich einen zuverlässigen Mann vor Ort, und der kümmert sich. Die Angelegenheit mit diesem Waldemar Otte hat er ja auch zu unserer Zufriedenheit gelöst. Dass ihm dieser Hamburger Advokat dazwischengekommen ist, nun, das können wir ihm nicht anlasten. Er hält sich jedenfalls an die Abmachung, so wenig Staub wie möglich aufzuwirbeln, und er hat mir zugesagt, dass er entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten wird, sodass wir das Material spätestens zum Ende der Woche in den Händen haben.»
«Sehr gut, Herr Feldwebel, sehr gut. Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Wenn Sie uns nun kurz entschuldigen würden, aber ich habe mit von Koester …»
Sören wich von der Tür zurück und schlich sich auf leisen Sohlen so schnell wie möglich davon. Sekunden später wurde hinter ihm die Tür geöffnet. Den Mann mit den silbernen Knöpfen am Rock, die ihn als Marineoffizier einer Landdivision zu erkennen gaben, hatte er zuvor noch nicht gesehen. Sören verhielt sich so unauffällig wie möglich, aber der Feldwebel schien so oder so keine Notiz von ihm zu nehmen.
Durch die Dinge, die er soeben erfahren hatte, lag alles eigentlich offen zutage, aber in seinem Kopf tobte das Chaos. Über allem schwebte Angst – die Angst davor, was ihn in Hamburg erwartete. Der Feldwebel hatte von
entsprechenden Maßnahmen
gesprochen. Egal, was darunter zu verstehen war, Martin schwebte in höchster Gefahr. Der Mann vor Ort, der scheinbar für die Schmutzarbeit dieser Herren zuständig war, hatte schon einen Menschen getötet. Sören brauchte nicht lange zu überlegen, wie er am schnellsten von diesem Schiff kam. In wenigen Minuten würde man die Schleusenanlage von Brunsbüttel erreichen. Egal wie, er musste so schnell wie möglich nach Hamburg. Vielleicht war es noch nicht zu spät.
«Entsprechende Maßnahmen»
Die ganze Bahnfahrt über versuchte Sören, sich die bisherigen Geschehnisse noch einmal vor Augen zu führen. Was das Reichsmarineamt vorhatte, lag jetzt klar auf der Hand. Man wollte die weitere Aufrüstung der Flotte geheim halten und sich dafür der List bedienen, die zukünftigen Kiellegungen als Neubauten von Handelsschiffen zu tarnen. Damit dies möglichst unbeobachtet geschehen konnte, sollten diese Schiffe vorrangig in den nicht kaiserlichen Marinewerften gebaut werden. Aus den Unterlagen, die Waldemar Otte bei sich geführt hatte, ging hervor, dass die geplanten Schiffe noch einmal weitaus größer und leistungsfähiger als die bisherigen Linienschiffe der Marine sein würden. Wie Otte an die Unterlagen gekommen war, entzog sich Sörens Kenntnis. Auf jeden Fall unterlagen die Pläne der Geheimhaltung. Weder die baulichen Details noch die Existenz dieser ominösen Konten durften publik werden. Ottes eigentlicher Auftrag hatte wahrscheinlich darin bestanden, mit der Hapag über die Nutzung eines für den Norddeutschen Lloyd gebauten Passagierdampfers zu verhandeln. Hatte er diese Gelegenheit tatsächlich genutzt, um Ballin mit der Kenntnis des geheimen Vorhabens zu erpressen, oder ging es bei seinem Auftrag doch um mehr? Etwa um die Planung und Ausschreibungsbedingungen der zukünftigen Schiffe? Schließlich hatte er Kontakt zu dieser englischen Werft aufgenommen und wollte Informationen über dieFähigkeiten und Erfahrungen bezüglich des Turbinenantriebs sammeln. Natürlich hatte er nicht wissen können, dass Pirrie mit Ballin befreundet war, aber aus dem Brief, den Sören ja kannte, ging nicht hervor, ob er sein Wissen tatsächlich an die Engländer verkaufen wollte.
Wie auch immer, nachdem Ballin von Pirrie erfahren hatte, dass Otte mit seinem Wissen an die englische Werft herangetreten war, musste er das Reichsmarineamt oder eine Kontaktperson davon in Kenntnis gesetzt haben, und dort hatte man dann veranlasst, Waldemar Otte zum Schweigen zu bringen. Und genau in dem Augenblick war er selbst dem Täter in die Quere gekommen. So musste es sich abgespielt haben. Das
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