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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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erklärte auch, warum man ihm nachgestellt hatte. Alles nur, um an die Papiere zu gelangen. Inzwischen bezweifelte Sören, dass es irgendeinen Zusammenhang zu den Geschehnissen gab, die sich in der Silvesternacht auf St.   Pauli abgespielt hatten. Im Gegenteil – eigentlich entlastete Otte, was den Vorwurf des Geheimnisverrats betraf, sein eigenes Verhalten, denn er hatte sich offiziell als Zeuge zur Verfügung gestellt. So etwas tat man nicht, wenn man Kriminelles im Schilde führte. Offen blieb eigentlich nur noch die Frage, was sich in besagter Nacht wirklich abgespielt hatte und warum Simon Levi hatte sterben müssen. Diese Frage beschäftigte Sören noch, als er Stunden später bei sich zu Hause in der Feldbrunnenstraße ankam.
    Als Martin ihm die Tür öffnete, fiel Sören ein Stein vom Herzen. Es war also noch nicht zu spät. Erst dann registrierte er Martins sorgenvollen Blick, der nur bedeuten konnte, dass etwas vorgefallen war. Was machte er überhaupt hier? Mit einer unheilvollen Vorahnung stürzte Sören in den Salon.
    «Was ist hier los! Wo ist Tilda?»
    Agnes saß schluchzend auf dem Sofa und bekam keinen Ton heraus. Sie sah völlig verheult aus.
    «Wo ist Tilda? Wo ist Ilka?» Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf.
    «Ilka ist oben in ihrem Zimmer. Sie schläft.» Martin wollte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legen, aber Sören drehte sich weg.
    «Was ist geschehen? Wo ist Tilda?»
    Martin deutete auf die Anrichte und den offenen Geigenkasten. Darin lag Mathildas Guarneri – jemand hatte das Griffbrett des kostbaren Instruments zerbrochen. Der Wirbelkasten baumelte nur von den Saiten gehalten herunter. Sören schossen unweigerlich Tränen in die Augen. «Nein», stammelte er. Dann bemerkte er den Zettel im Deckel des Kastens.
    «Sie wissen, woran wir interessiert sind. Wir schicken morgen Mittag einen Boten, der die Dokumente abholen wird. Anderenfalls ergeht es Ihrer Gemahlin wie diesem Instrument.»
    Sören wich jede Farbe aus dem Gesicht. Das also waren sie, die
entsprechenden Maßnahmen
, von denen auf dem Schiff die Rede gewesen war.
    «Ich habe die Papiere schon geholt», sagte Martin. «Meinst du, es ist sinnvoll, die Polizei zu verständigen?»
    Sören brauchte einen Moment, bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte. «Nein», antwortete er schließlich. «Wir dürfen auf gar keinen Fall ein Risiko eingehen.» Er mochte gar nicht daran denken, was sonst mit Tilda geschehen würde. Dann erzählte er Martin, was er auf dem Schiff erfahren hatte.
     
    Verstört blätterte Sören immer wieder durch die Dokumente, die Martin auf den Tisch im Salon gelegt hatte. Ein Haufen Papiere, der es eigentlich nicht wert seinsollte, ein Menschenleben dafür aufs Spiel zu setzen. Nur gab es jemanden, der das anders sah und der bereit war, für diese Dokumente zu töten.
    «Sollen wir eine Abschrift anfertigen?», fragte Martin.
    «Nein», entgegnete Sören, ohne den Blick zu heben. «Das ist nicht nötig. Alle wichtigen Informationen habe ich längst im Kopf.»
    «Ich habe mir natürlich die Kontodaten notiert.»
    «Soweit ich weiß, kennen sie den genauen Umfang des Materials überhaupt nicht. Man will nur jedes Risiko ausschließen.» Sören schüttelte fassungslos den Kopf. «Ich hätte nie gedacht, dass man so weit gehen würde   … Es ist eine solche Schweinerei   …»
    Er musste an Tilda denken. An ihr letztes Gespräch, an ihre Umarmung, ihren Duft. Wo hielt man sie gefangen? «Wir dürfen kein Risiko eingehen. Sie sollen alles bekommen.»
    Sören betrachtete die Pläne und Zeichnungen. Wenn man wusste, um welche Details es ging, konnte man die eingezeichneten Schlingertanks erkennen. Auch die Maße und Leistungsangaben stellten für ihn nun kein Rätsel mehr dar. Alles war plötzlich verständlich. Ein letztes Mal nahm er sich die persönlichen Briefe von Otte vor, aber er fand immer noch keinen Hinweis darauf, ob er tatsächlich geplant hatte, sein Wissen zu verkaufen. Abermals versuchte Sören, den Zettel mit Ottes handschriftlichen Notizen und die flüchtige Skizze zu entziffern. Es konnte sich nur um eine Wegbeschreibung handeln, ein Geflecht unterschiedlicher Straßen, angedeutet mit Abkürzungen, in Eile notiert. Die Worte konnten alles Mögliche bedeuten, nur der Name Friedrich stach ihm ins Auge, und plötzlich ging Sören ein Licht auf. Auf einmal wusste er, was ihn die ganze Zeit gestört hatte, was er übersehen hatte.
    «Die Friedrichstraße   … Altona   …»

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