Die Schattenflotte
belog man die Öffentlichkeit. Auch wenn man manches mit dem Argument der militärischen Geheimhaltung begründen konnte, streng genommen war ihr Handeln nicht legitim. Aber Sören sah keine Möglichkeit, dem entgegenwirken zu können, der Gang an die Öffentlichkeit würde aller Wahrscheinlichkeit nach den Tatbestand des Landesverrats erfüllen.
Sören fühlte sich niedergeschlagen und ohnmächtig. Vielleicht hatte Martin eine Idee, was man tun konnte. So lange blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als gute Miene zu bösem Spiel zu machen und sich nichts anmerken zu lassen.
Während er darüber nachdachte, ob und wann sie heute Abend nach Hamburg zurückkommen würden, forderte das Schlagen der stählernen Tür zum SeitendeckSörens Aufmerksamkeit. Als er die Tür schließen wollte, stand er plötzlich Wilhelm II. gegenüber, der ihn verlegen anblickte. Es war nicht zu übersehen, was geschehen war, denn Aufschläge und Bart Seiner Majestät wiesen einige Verunreinigungen auf. Sören konnte sich ein Grinsen nur mühsam verkneifen, nicht deswegen, weil sich der Kaiser über die Bordwand erleichtert hatte, sondern weil er die falsche Seite gewählt hatte. Kotzen nach Luv war ein kapitaler Anfängerfehler. Sören ließ sich nichts anmerken, zog ein Taschentuch hervor und tupfte wortlos den Rock Seiner Majestät sauber.
«Mich quält schon seit Tagen einer dieser widerlichen Infekte», erklärte Wilhelm II. und nahm das Taschentuch entgegen, um sich die Essensreste aus dem Gesicht zu wischen. «Am besten werde ich mich für den Rest der Fahrt in meine Kabine zurückziehen.»
Sören begleitete ihn bis in den Gang, von dem aus die zukünftigen Offizierskabinen abgingen. Die Frage, ob er ihm noch etwas bringen könne, verneinte Seine Majestät, dankte Sören für dessen Aufmerksamkeit und Diskretion und schloss die Kabinentür.
Während Sören den Gang zurück zur Offiziersmesse ging, merkte er, dass sich anscheinend mehrere der Gäste hierher zurückgezogen hatten, zumindest waren hinter einigen Türen Stimmen zu vernehmen. Eine davon gehörte zu Admiral von Koester. Sein sonorer Bariton war sofort herauszuhören. Als Sören den Namen Otte zu verstehen glaubte, schnellte sein Herzschlag in die Höhe. Er verlangsamte seinen Schritt und blieb vor der entsprechenden Tür stehen. Die zweite Stimme gehörte von Tirpitz, zudem war noch eine weitere Person im Raum, deren Stimme Sören nicht zuordnen konnte. Vorsichtig blickte er sich um, außer ihm war niemand auf dem Gang. Es warein Risiko, aber wenn man ihn entdeckte, dann konnte er immer noch anklopfen und sich nach dem Wohlbefinden der Männer erkundigen. Sören presste sein Ohr gegen die Tür.
«Haben wir inzwischen eine Rückmeldung von der Schichau-Werft?»
«Ja, zuerst gab man sich wortkarg, aber nachdem ich den Herren die Ernsthaftigkeit der Situation erläutert habe, zeigte man erwartungsgemäß Gesprächsbereitschaft. Ich habe ihnen deutlich zu verstehen gegeben, dass sich die zukünftige Auftragsvergabe an die Werft durchaus ändern könnte, wenn man nicht einlenken würde.»
«Und falls sich so etwas in Zukunft wiederholen sollte?»
«Genau. Man gibt sich dort natürlich unschuldig. Angeblich wurden die Unterlagen gestohlen. Letzten Endes bleibt unklar, ob der Mann mit Wissen der Werftleitung agierte oder ob es ein Alleingang war. Offiziell hat dieser Otte nichts mit dem Rüstungsbetrieb der Werft zu tun. Gleichwohl war er beauftragt, mit der Hapag über ein Entgegenkommen bezüglich dieses Passagierdampfers in Verhandlungen zu treten. Dass der Mann in diesem Zusammenhang unterschwellig versucht hat, Ballin zu erpressen, davon will man natürlich keine Kenntnis gehabt haben.»
«Wir wissen, dass dieser Otte das Material an die Engländer verkaufen wollte.»
«Ja, aber wir haben es nur einem Zufall zu verdanken, dass der geplante Handel aufgeflogen ist und wir Schlimmeres verhindern konnten. Der Mann wusste nämlich nicht, dass der Besitzer der englischen Werft, dem er das Material angeboten hat, gut mit Ballin bekannt ist. Natürlich hat der sofort mit Ballin Kontakt aufgenommen, um die Hintergründe zu ermitteln, schließlich liegen die Rechte des Turbinenantriebs bei einer englischen Firma.»
«Von den Versuchen mit den Ballasttanks hatte er demnach keine Kenntnis?»
«Soviel wir bislang wissen, wohl nicht. Ballin wird uns aber auf dem Laufenden halten. Der Besuch des Engländers bei ihm ist auch der Grund, warum er bei der heutigen Fahrt nicht
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