Die Schattenfrau
Reporter treffe. Stimmst du mir zu?« »Meinst du, du schaffst es, ihn hinters Licht zu führen?« »Wohin?«
»Mein Gott, du kennst doch die Floskel. Musst du eigentlich jedes Wort auf die Goldwaage legen?«
»Wieso jedes Wort?«
»Und lass dir bloß die Haare schneiden, bevor du dich an die Presse wagst. Birgersson hat heute Morgen was von Beatlesfrisuren gemurmelt.«
»Er lebt noch in der guten alten Zeit«, scherzte Winter und ging zum Aufzug.
Hans Bülow wartete in einer Bar im Zentrum auf ihn. Draußen schwand das Tageslicht, und auf dem Tisch brannten Kerzen. Die Leute auf der Avenyn gingen rasch vorbei, als hätten sie ein festes Ziel.
»Darf man dich zu einem Bier einladen, wo du dir tatsächlich mal Zeit für mich nimmst?«, begrüßte ihn Bülow.
»Ein Perrier würde ich annehmen.«
»Du wirst immer mehr zu so einem Straightedge-Typ«, sagte Bülow.
»Trinken die Perrier?«
»Wasser. Keinen Alkohol.«
»Straight edge?« »Ja.«
»Klingt gut«, sagte Winter und zündete einen Zigarillo an. »Guter Sound.«
»Die rauchen aber nicht.«
Winter blickte nachdenklich auf seinen Zigarillo. »Dann kann ich wohl ebenso gut ein Leichtbier nehmen. Hof vom Fass, wenn es das gibt.«
Bülow ging zur Theke und kam mit zwei vollen Gläsern zurück. Er nickte einem bekannten Gesicht zu und setzte sich.
»Das ist doch ein Kollege von dir, oder?«, fragte er und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
»Wo denn?«
»Schräg hinter mir. Rechte Seite. Der, den ich eben gegrüßt habe.«
Winter blickte über die Schulter des Reporters und erkannte Halders' kurz geschorenen Kopf. Halders schaute sich nicht um. Winter konnte nicht sehen, ob er Gesellschaft hatte.
»Du kennst Halders?«, fragte er Hans Bülow.
»Machst du Witze? Als Reporter mit dem Präsidium als Fischgrund lernt man alle guten Bullen kennen«, sagte Bülow.
»Rechnest du Halders dazu?«
»Er hat den besten Ruf.«
»Bei wem?«
»Bei der Presse selbstverständlich. Er ziert sich nicht. Und wenn er was sagt, hat es Hand und Fuß.« Winter trank vom Bier. »Was tut sich denn bei euch?«, fragte Bülow.
»Wir versuchen noch immer, die ermordete Frau zu identifizieren. Und ihr Kind, wenn sie wirklich eines hatte, aber genau wissen wir das nicht. Das macht mir Sorgen.«
»Und wenn ich dir nun sage, dass ihr sie gefunden habt?«
»Du darfst sagen, was du willst. Aber was meinst du? Klar, haben wir sie gefunden.«
»Ihre Identität? Ihr wisst doch, wer sie ist. Ihr wollt es nur nicht rauslassen.«
»Und«, sagte Winter.
»Warum?«, wollte Bülow wissen, plötzlich ernst.
Winter schwieg. Er trank wieder von dem Bier, als wollte er sich beschäftigen. Der Barkeeper ließ halblaut Musik laufen. Es klang wie Rock.
»Warum, Erik?«
»Ich war einverstanden, dich zu treffen, weil ich ein paar Dinge klarstellen wollte«, antwortete Winter. »Aber auf gewisse Fragen kann ich ganz einfach nicht antworten.«
»Aus ermittlungstechnischen Gründen?« »Ja.«
»Mit Rücksicht auf Geheimhaltung?«
Winter nickte. Halders saß noch immer da, mit dem Rücken zu Winter. Vielleicht hat er einen Doppelgänger, überlegte Winter.
»Strafgesetzbuch Abschnitt fünf Komma eins und neun Komma siebzehn«, zitierte Bülow.
»Bist du auf einmal auch Jurist?« »Mir reicht's, Gerichtsreporter zu sein.«
»Aha.«
»Also, was kannst du mir denn berichten?«
35
Es war längst dunkel draußen. Winter war zurück in seinem Büro. Bülow hatte sich bereit erklärt, noch abzuwarten, bis er mit gewissen Informationen an die Öffentlichkeit ging, und Winter hoffte auf seine Verschwiegenheit. Not publish and be damned, hatte er gesagt. Winter glaubte zu verstehen, was der Reporter meinte. Du schuldest mir einen Gefallen, hatte Bülow sich verabschiedet. Den habe ich dir gerade getan, hatte Winter erwidert.
Er öffnete das Fenster. Das herbstlich-gelbe Laub raschelte in den Bäumen. Bald würde er wieder freie Sicht haben, nach Norden und über den Fluss auf die stumm dastehenden Häuser auf der anderen Seite. Sie waren erst in den letzten Jahren errichtet worden, während er an seinem Schreibtisch gesessen und über böse Taten gegrübelt hatte. Er fand, die Häuser waren zu starr gebaut, sodass sie vor Winters Augen auch verfallen würden. Nun würden sie ihn bald wieder blenden, wenn ihre Wände das Licht der tief stehenden Wintersonne reflektierten und es von keinem Laub gelindert zu ihm durch die Baumwipfel schickten.
Nun übertönte die Musik von der CD alle anderen
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