Die Schattenfrau
Mischung.«
»Ja.«
»Ich rede zu viel. Das kommt vielleicht daher, dass Sie auch von einer Behörde sind.«
»In die Schublade möchte ich lieber nicht gesteckt werden.« Winter lächelte.
»Nun, aber Sie repräsentieren sogar die Staatsmacht«, wandte Ernst Lundgren ein. »Sie tragen zwar keine Uniform, aber Sie haben Macht.«
Winter antwortete nicht. Der Mann ihm gegenüber blickte aus dem Fenster. Winter tat es ihm nach. Sie konnten die Kinder und ihre Betreuer im Rentenalter am Waldrand herumtoben sehen, wie Farbtupfer auf einem Bogen groben Papiers.
»Viele verstecken sich«, sagte Ernst Lundgren ganz in Gedanken und sah noch immer raus zu der Kinderhorde. »Das könnte der Grund dafür sein, dass ich von dieser Frau, nach der Sie fragen, noch nie gehört habe. Wie hieß sie noch, Helene?«
»Ja. Helene Andersen. Das Mädchen heißt Jennie.«
»Kenne ich nicht. Aber ich kann natürlich meine... Angestellten, oder wie ich sie nennen soll, fragen.«
»Dafür wäre ich dankbar.«
»Wäre doch komisch, wenn keiner die zwei kennen würde. Vielleicht wissen die Kinder mehr. Können Sie beschreiben, wie das Mädchen aussieht?«
»Das wäre möglich.« Ringmar betrachtete den hohen Stapel Kinderzeichnungen auf Winters Schreibtisch.
»Ein Tagebuch«, beschrieb es Winter. »Das könnte wie ein Tagebuch sein.«
»Dann hätten wir Glück.«
»Glück haben bedeutet oft nur, die Chancen erst einmal zu erkennen, die sich einem bieten«, philosophierte Winter und dachte bei sich: Mann, was bin ich doch für ein elender Besserwisser.
»Und hier«, sagte Ringmar und hielt ein Bild hoch, das einen einsamen Baum auf einem Feld vorstellte. Das Bild war geteilt. Regen. Sonne. »Hier gibt es sowohl Regen als auch Sonnenschein.«
»Das hat sie auf vielen Bildern gemalt, soweit ich bis jetzt erkennen konnte«, erklärte Winter.
»Hat das was zu bedeuten?«
»Ich weiß nicht.«
»Scheint ein Fall für den Kinderpsychologen zu sein.« »Daran habe ich auch gedacht.« »Und das gilt überhaupt für die Landschaften.« »Und die Figuren.«
»Bei dem hier kann einem ganz anders werden. Das ist nicht so wie auf den Zeichnungen von meinen eigenen Kindern. Ob das was zu bedeuten hat?«
»Alle Kinder malen viel, oder? Aber was malen sie? Das, was sie sehen. Also haben wir hier das, was sie gesehen hat.«
»Regen und Sonne und Bäume«, beschrieb Ringmar. »Ein Schiff und ein Auto. Wo führt uns das hin?«
»Wir können sie uns ja auf jeden Fall mal genauer ansehen«, schlug Winter vor. »Beier ist noch nicht mal mit allen Bildern in der Wohnung fertig.«
»Was meint er dazu?«
»Dass er gestresst ist.«
»Und das, wo er jetzt so schmucke neue Räume hat...«
»Er muss sich ja auch noch um die ballistischen Untersuchungen kümmern.«
»Aha. Und passen die Patronen zum Gewehr?«
»Weiß er noch nicht«, sagte Winter.
Sie hatten leere Patronenhülsen von der Schießerei auf dem Värväderstorget und eine Waffe. Beier hatte die gleiche Munition besorgt und mit dem beschlagnahmten Gewehr in den Wassertank geschossen, um die Spuren an den Patronenhülsen zu vergleichen. Zum Glück hatten sie die notwendige technische Ausrüstung dafür in Göteborg. Seit dem Mord am Ministerpräsidenten verfügte wohl sogar das SKL in Linköping über eine Kartei, in der die Daten aller Waffen und jeder Munition, die je bei einer Ermittlung untersucht worden waren, erfasst waren. Sobald sie glaubten, dass ein Verbrechen mit einer der Motorradgangs zusammenhing, mussten allerdings zusätzlich die kriminaltechnischen Labors in Oslo, Helsinki und Kopenhagen abgefragt werden. Das machte die Untersuchung der Patronenhülsen in Göteborg besonders brisant und verursachte eine Menge zusätzlicher Arbeit, ging es Winter durch den Kopf.
»Woran denkst du?«, fragte Ringmar.
»Jetzt gerade? An eine Kugel, die in Wasser dringt, und an ein Motorrad, das irgendwo in Skandinavien durch eine Straßensperre brettert.«
»Und ich denke an das Mädchen«, sagte Ringmar. »Und an seine Mutter.«
»Ich warte immer noch auf den Bericht des Sozialamtes«, seufzte Winter. »Und auf den über die Krankenhäuser.«
»Anscheinend hatten die beiden keine Angehörigen oder Bekannten.«
»Doch. Und wir kommen ihnen langsam auf die Spur. Es dauert nicht mehr lange und wir sitzen ihnen auf den Fersen.« Winter griff nach seinem Sakko und zog ihn über.
»Wohin willst du?«, fragte Ringmar.
»Ich dachte, es wäre ratsam, dass ich mich endlich mal mit einem
Weitere Kostenlose Bücher