Die Schattenfrau
»Wir wissen bisher nur, dass sie ihn vor rund fünfundzwanzig Jahren angefasst hat.«
»Und andere Abdrücke?«, fragte Winter und blickte auf das Papier, das nun nicht mehr ganz so alt wirkte, seit er mehr über seine Geschichte wusste.
»Das ist etwas kniffliger«, erklärte Beier. »Wir können einige Teile von Fingerabdrücken erkennen, aber keine ganzen. Also kann ich dir dazu noch nichts sagen.«
»Okay.«
»Willst du, dass wir weitermachen?« »Was meinst du?«
»Mit diesem Zettel? Ist er so wichtig?« Winter schnaufte und blickte nachdenklich auf die blasse Schrift und die merkwürdigen Linien.
»Vielleicht hat sie ihn aus einem bestimmten Grund aufgehoben... Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht, Göran.«
»Ich frage nur, weil wir die Fingerabdrücke aus einer ganzen Wohnung und dem Keller zu prüfen haben. Dieser Fall ist schließlich nicht der einzige, an dem wir arbeiten.«
»Dann beschäftigt euch erst wieder mit dem hier, wenn ihr ein bisschen mehr Luft habt«, entschied Winter. »Aber, kannst du was mit den vollständigen Abdrücken anfangen?«
»Du weißt doch, dass wir, um einen Fingerabdruck zu bestimmen, mindestens zwölf Punkte finden müssen, die identisch sind. Das verstehst du doch?«
Winter verstand es, theoretisch. Das mit der Praxis war freilich etwas anderes. Er wusste, dass ein Fingerabdruck aus einer riesigen Anzahl Linien bestand, die ineinander übergingen. Manchmal bildeten sich Schleifen, manchmal teilten sich die Linien an Gabelungen... Jedes dieser charakteristischen Merkmale wurde einzeln mit dem Fingerabdruck eines Verdächtigen verglichen, und wenn sie zwölf übereinstimmende Punkte fanden, dann stand für sie fest, dass die Abdrücke identisch waren. Eine Arbeit für Experten, denn der Computer registrierte nur die Schleifen und die Gabelungen, die Punkte. In Schweden gab es zwanzig solcher Experten, davon zwei in Göteborg. Einer von ihnen hieß Bengt Sundlöf und stand noch immer neben Beier und Winter über den Zettel gebeugt.
»Es juckt ein wenig in den Fingern, wenn ich das mal einwerfen darf«, sagte er jetzt.
»Eine echte Herausforderung«, stimmte ihm Beier zu.
»Man sitzt konzentriert da und hat etwas zum Vergleichen vor sich und guckt in die zwei Lupen und sucht... und macht Skizzen.«
»Einen Tag nach dem anderen«, ergänzte Beier. »Und bekommt schwere Rückenschmerzen von dieser krummen Arbeitshaltung.«
»Und man macht so lange weiter, bis man zwölf Punkte gefunden hat«, sagte Sundlöf. »Weißt du, was man dann sagt?«, fragte er Winter.
»Bingo«, riet Winter.
»Wenn man überhaupt dahin kommt. Verstehst du jetzt, was du von uns forderst?«, fragte Beier.
»Bei eurem Talent...«, sagte Winter.
»Okay, wir helfen dir«, ging Sundlöf auf seinen Ton ein. »Du schätzt Weisheit und Erfahrung trotz deiner Jugend und deiner langen Haare.«
»In Frankreich verlangen die sogar die Übereinstimmung in vierzehn Punkten«, erklärte Beier. »Vielleicht gehen wir hier oben im Norden ein Risiko ein.«
»Die Amerikaner haben selbstverständlich das größte Register der Welt«, sagte Sundlöf. »Das FBI hat viele Millionen Fingerabdrücke zur Auswahl. Und dort hat man einmal tatsächlich zwei Abdrücke gefunden, die in sieben Punkten übereinstimmten. Von verschiedenen Personen!«
»Jetzt komme ich nicht mehr mit«, musste Winter eingestehen.
»Sie hatten zwei Sätze von Abdrücken, und die zwei Sätze waren in sieben Punkten identisch«, mühte sich Beier. »Sie waren völlig identisch. Trotzdem stellte sich heraus, dass es sich um die Abdrücke von zwei verschiedenen Personen handelte. Noch nie hatte man so viele gemeinsame Punkte bei zwei verschiedenen Personen gefunden. Nie.«
»Noch nicht«, sagte Winter. »Zwölf ist dann doch reichlich bemessen?«
»Da kann man sich wirklich sicher sein«, bestätigte Beier.
»Dann macht ihr das Gleiche mit dem Abdruck an der Kommodenschublade in Helenes Wohnung?«, fragte Winter.
»Das ist ein Randabdruck«, gab Sundlöf zu bedenken. »Und verwischt. Ist vermutlich entstanden durch einen Riss in einem Fingerhandschuh. Vielleicht bestätigt das ja die Faserprobe, die wir in der Nähe gefunden haben. Die Kollegen arbeiten gerade noch daran.« »Also nicht so einfach«, sagte Winter. Beier und Sundlöf nickten gleichzeitig. »Und die andern? In der Wohnung?«
»Zwei sind deutlich. Aber wir haben noch keinen passenden Satz im AFIS gefunden. Also keine Identifizierung.«
»Habt ihr die meinen da
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