Die Schattenfrau
auch schon eingegeben?«
»Wir sind dabei, Herr Kommissar«, sagte Beier. »Es können sich aber noch mehr Fingerabdrücke in der Wohnung finden.«
»Ich bin überzeugt, ihr findet sie alle«, schmeichelte Winter und machte einen Schritt zur Tür. »Danke übrigens für die Lehrstunde.«
Winter wollte in sein Büro zurück, um endlich die Zeichnungen durchzugehen und sie zu sortieren. Er wollte sich auch seine Kopie des Zettels noch einmal vornehmen. Als er ihn oben im technischen Dezernat betrachtet hatte, war es ihm so vorgekommen, als wären die Ziffern und Buchstaben deutlicher geworden, die Linien länger, schärfer. Er war sich sicher, ihre Bedeutung gefunden zu haben: Es war eine Karte.
Und auch Helene musste sie etwas bedeutet haben. Oder hatte sie den Zettel vor fünfundzwanzig Jahren in der Tasche vergessen... nach einem Spiel? Möglich war das, aber nur für den, der an Zufälle glaubte.
Sie hatte das bestimmt nicht selbst geschrieben und die Striche gezogen. Eine erwachsene Person hatte den Stift geführt.
Winter war warm, und er fühlte einen Druck in seinem Kopf. Er musste sich unbedingt bald unter eine kalte Dusche stellen.
38
Das Licht zeichnete auch an diesem Tag allem auf dem Platz eine harte Kontur, obwohl die Luft wärmer geworden war. Winter hatte sich auf einer der Bänke mit dem Blick zum Eingang des Postamts niedergelassen. Er saß schon eine halbe Stunde da und wollte bald aufstehen. Es war Viertel vor eins. Viele Menschen betraten die Geschäfte unter den Arkaden, gingen ein und aus. Es war die Zeit, in der Löhne und Renten ausbezahlt wurden. Und Rechnungen beglichen. Viele trauten dem bargeldlosen Verkehr noch nicht genug, um solche Beträge zu überweisen.
Winter war nicht allein auf dem Platz. Viele Leute ruhten sich wie er auf den Bänken aus. Eine Gruppe Männer wartete vor Jacky's Pub darauf, dass die Türen geöffnet würden. Ich gehe später mal rein, nahm Winter sich vor. Ich kann auch von dort aus was sehen.
Viele Leute im besten Alter waren unterwegs, die eigentlich an einem Arbeitsplatz sein sollten. Bestimmt arbeitslos, überlegte Winter. Sie waren entlassen worden und liefen nun auf dem Platz herum, im Licht der späten Mittagssonne.
Sara Helander hatte Bergenhem vor eineinhalb Stunden abgelöst und saß mit einem Prospekt über Darlehen auf einer der Bänke am Fenster. Es befanden sich mehr Menschen im Raum, als sie gedacht hätte. Sie hielt einen Nummernzettel gut sichtbar in der rechten Hand. Vielleicht würden sie Glück haben.
Sie schielte in den Prospekt und versuchte gleichzeitig zu beobachten, was sich an den Kassen tat. Von hier aus hatte sie einen guten Überblick, aber vielleicht sollte sie aufstehen. Ich ruhe die Beine noch eine Minute aus, dachte sie. Vielleicht lerne ich etwas, wenn ich das hier lese.
Sie blickte in den Prospekt. Wer in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebe, könne für alles und jedes leicht ein Darlehen bekommen, las sie. Ein Versprechen. Man konnte nach einer Prüfung der Kreditwürdigkeit jederzeit eine schriftliche Darlehenszusage bekommen, wollte man eine Wohnung oder ein Ferienhaus kaufen. Sara Helander konnte sich durchaus vorstellen, ein Ferienhaus zu kaufen... wenn sie nur die Zeit hätte, sich auch mal in diesem Haus aufzuhalten.
Sara Helander hob den Blick, stand auf und sah, dass eine der Kassiererinnen ihre Hand hochreckte. Schalter drei, rechts. Sara Helander trat schnell näher, schlängelte sich zwischen dem Kinderwagen und einem Kind durch. Die Frau hinter der Glasscheibe war ganz blass, als wäre sie im Begriff, jeden Moment von ihrem Stuhl zu kippen. Als sie Sara Helander erkannte, nahm sie die Hand runter und deutete auf die Tür. Was zum Teu...
Da bemerkte Sara Helander, dass das Lichtsignal über der Kasse in kurzen Abständen gedrückt wurde, wie eine Erinnerung an ihre Nachlässigkeit.
Ein Mann, breit wie das Plakat über ihm, hatte sich bereits vor die Kasse gestellt und wartete darauf, bedient zu werden. Sara Helander stieß ihn zur Seite, als sie sich mit einem flauen Magen vordrängte.
»Verdammt, was soll das!«, fluchte der Mann, den sie weggeschubst hatte.
»Er war doch hier!«, rief die Frau hinter dem Schalter. »Ich wollte Ihnen ein Zeichen geben, aber Sie haben nicht aufgeblickt. Es ist noch keine Minute her. Hat die Lampe nicht geblinkt?«
Sara Helander hob reflexartig den Kopf und sah wieder das Signal der Warnlampe. Oh, Gott, ich fliege raus, lieber Gott, ich habe nicht geda...
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