Die Schattenfrau
in der Hand unten vorbeigehen, und er bekam Hunger. Im Bahnhofsgebäude gab es auf der Höhe, wo sein Mercedes stand, eine Imbissstube. Winter ging ins Bad, pinkelte und warf einen prüfenden Blick auf sein Gesicht, während er sich die Hände wusch. Es war als hätte der Meerwind die roten Äderchen in seinen Augen einfach weggepustet. Er strich sich das schulterlange Haar hinter die Ohren, ging ins Zimmer zurück und sah sich um, bevor er es verließ. Er zog die Tür hinter sich zu und ließ den Schlüssel bei dem Mann, der jetzt an der Rezeption stand. Draußen wärmte die Oktobersonne die Luft auf dem Platz.
Winter bestellte zwei rote Würste mit Brot und Röstzwiebeln und ein Hof. Dann stellte er sich an einen der hohen Tische und begann zu essen. Er war allein in der Imbissstube. Es roch nach Schweinefleisch, nach heißem Fett und Bier.
Auf dem Parkplatz vor dem Busbahnhof waren vier Motorräder mitten in der Einfahrt zusammengekettet. Die Besitzer, alles Männer, standen daneben, unterhielten sich und tranken Bier aus Dosen. Sie waren in schwarzes Leder, blauen Denim und schwarze Boots mit beschlagenen Absätzen gekleidet. Alle vier hatten lange Bärte und dunkles Haar, das ihnen auf die Schultern fiel - wie Winter.
Andere Autos waren gezwunge n, im Halbkreis den von der Motorradgang eingerichteten Lagerplatz zu umfahren, doch Winter sah und hörte niemanden, der versuchte, sich gegen die Männer aufzulehnen. Niemand regte sich auf oder beschimpfte sie, doch... einfach zur Hölle zu fahren, wo sie hin gehörten. Was Winter da sah, schien für sie ganz selbstverständlich zum Stadtbild zu gehören. Vielleicht war dies eine Stadt, in der alle friedlich Seite an Seite lebten.
Winter beendete seinen Imbiss und ging zu seinem Auto. Er folgte der Beschreibung, die man ihm im Hotel gegeben hatte, bog um das Geviert herum und fuhr zurück über den Boulevard, so dass er schließlich in der Einbahnstraße vor dem Hotel parkte. Er stieg aus, schloss den Mercedes ab und lief über den Platz zurück und am Bahnhof vorbei. Die Motorräder waren mit donnerndem Lärm, der weit auf den Fjord hinausschallte, davongebraust. Winter ging die Jyllandsgade zwei Häuserblocks hinunter, bis auf der linken Seite das Polizeipräsidium neben ihm aufragte, ein futuristischer Klotz, ganz in den Farben Anthrazit und Silber gehalten. Winter hatte von den Umbauten gehört, aber nicht geahnt, wie umfassend die Bautätigkeit gewesen war. Eine breite Treppe führte zum Eingang in der schwarzen Glasfassade, und Winter fand, dass sich die schwedische Polizei ruhig auch solche Bauwerke leisten sollte.
Der Palast blitzte im Sonnenlicht, in den Wänden spiegelten sich die gegenüberliegenden Häuser und hatten so ein wenig Anteil an dieser gewaltigen Polizeimacht. Sollten hier Motorradrowdies hineinkommen wollen, müssten sie sich wohl vorher fein machen, dachte Winter.
Direkt gegenüber lag die Bethaniakirche. Neben dem Polizeigebäude befand sich das Securitas-Büro, und dahinter lag das Haus der Anonymen Alkoholiker, vor dem Winter einige Männer sitzen und ihre verwitterten Gesichter im Sonnenschein wärmen sah.
Drinnen im Präsidium schien alles entweder mit schwarzem Leder, Stahl oder Marmor verkleidet zu sein. Durch die Fensterfront konnte man die Stadt sehen.
Winter meldete sich am Empfang bei einem uniformierten Polizisten an, der ihn bat, sich auf einen Stuhl - aus Stahl - zu setzen und zu warten.
Stattdessen ging Winter in eine große und luftige Schalterhalle mit einer mindestens fünfzehn Meter langen Theke. An Pulten standen Leute und füllten Formulare aus. Hier gibt es wenigstens Platz und Licht, dachte Winter neidisch, das enge Loch in Göteborg vor Augen, das angeblich für alle Bürger da sein sollte, die bei der Polizei etwas zu erledigen hatten. Winter nahm einige Formulare in die Hand: Antrag auf Führerschein, Antrag auf dänischen Pass, Anmeldung zur technischen Prüfung und/oder Registrierung von Fahrzeugen. Er dachte an die Motorräder vor dem Bahnhof. Ein Formular war schlicht mit ANTRAG überschrieben, und Winter steckte es in die Innentasche seines Sakkos. Wer weiß, wozu er es noch gebrauchen konnte.
Als er in den großen Vorraum zurückkam, stand eine Frau in schwarzem Hemd und schwarzen Jeans neben dem Empfangsschalter. Sie war schlank und hatte dickes, blondes Haar, das sie aus dem Gesicht gekämmt hatte. Aus ihrer linken Brusttasche ragte eine Schachtel Zigaretten. Sie hatte blaue Augen, und wirkte sogar
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