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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Augen. Das Motorengeräusch und das gleichmäßige Vibrieren ermüdeten ihn, schläferten ihn ein. Er überlegte, ob er aufstehen sollte, um in den Duty-free-Shop zu gehen, vielleicht etwas zu kaufen, aber allein der Gedanke machte seinen Körper noch schwerer, und die Augen fielen ihm zu.
    Er war weit weg und stand auf einer Insel. Der Granit der Felsen blitzte im Sonnenlicht, und er schleppte etwas, das über seiner Schulter hing, von einem Boot, das aufs Land gezogen worden war von zwei Jungen, die chinesische Schriftzeichen auf die Klippen malten. Eine Frau lief neben ihm her und zerrte an dem dicken Seil, das er über der Schulter trug. Sie hob es herunter und wand es zwischen ihren Armen, und Winter sagte: Das ist meine Beweiskette, rühr meine Beweiskette nicht an. Doch von der Spitze eines Leuchtturms schrie sie zurück: Das ist meine Kette, schrie sie, das sind meine Glieder. Und sie kam auf ihn zu mit Armen, die wie Propeller waren, Windmühlenflügel. Sie warf das Seil über ihn, und er hob die Arme zum Schutz, wurde aber mit seiner eigenen Kette gefesselt und dann...
    ...rutschte Winters Ellbogen von der Tischkante, und sein Kopf ruckte, und er wachte mit dem Gefühl auf, die Kontrolle verloren zu haben. Das dumpfe Gefühl nach einem unvermittelten Nickerchen.
    Winter streckte sich und blickte aufs Meer hinaus. Der Katamaran näherte sich der dänischen Küste. Sie hatten die Geschwindigkeit verringert, das Schiff vibrierte nicht mehr so stark, und Winter fühlte sich, als würde sein ganzer Körper langsam zur Ruhe kommen.
    Über die E 45 fuhr er nach Aalborg hinein, bog nach dem Tunnel unter dem Limfjord ins Stadtzentrum ab. Er war seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Die Stadt wirkte größer, als er sie in Erinnerung hatte. Die Einfallstraße führte durch Hafengebiete, wo riesige Speicher die Sonne verdeckten. Wasserdampf, der von der Branntweinfabrik aufstieg, überzog weiß den blauen Himmel, als hätte ein Kind ihn mit Kreide bemalt.
    Winter parkte vor dem Bahnhof und ging quer über den John F. Kennedy Plads zum Park Hotel. Der junge Mann an der Rezeption nickte ihm zu und fand nach einer Minute seinen Namen im Gästebuch. Winter trug sich ein und bekam den Schlüssel zu einem Zimmer im zweiten Stock. Wegen der Reisetasche und der Aktentasche nahm er den Aufzug. Er hatte es nicht geschafft, noch im Duty-free-Shop einzukaufen.
    Das Zimmer war klein und roch säuerlich nach kaltem Rauch. Das Fenster ging auf den dunklen Hinterhof, wo ein Haufen Kartons hoch aufgetürmt war, die Scheibe halb verdeckte. Die Klimaanlage brummte laut, schien sich ans Fenster zu klammern wie wilder Wein an ein Klettergerüst. Das Geräusch erinnerte Winter an die Vibrationen des Katamarans.
    Er nahm seine Taschen, kehrte zu dem antiken Aufzug zurück und fuhr wieder hinunter zur Rezeption. Er widerstand dem Bedürfnis, zum Handy zu greifen, und zu Hause im Präsidium anzurufen, um zu fragen, wer das Hotel gebucht hatte und warum. Vielleicht war es Wellman persönlich gewesen. Einsparungen auch an der Spitze.
    »Ich möchte ein anderes Zimmer«, sagte er zu dem jungen Mann an der Rezeption, der nickte, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass die Gäste nach fünf Minuten wieder herunterkamen.
    »Wir haben keine Einzelzimmer mehr«, erklärte er. »Dann geben Sie mir ein Doppelzimmer.« »Das kost... «
    »Das spielt keine Rolle«, sagte Winter. »Aber ich möchte eins im dritten Stock mit Aussicht auf den Platz.« Winter wies durch das Foyer auf den Kennedyplatz.
    Das Jüngelchen an der Rezeption drehte sich um zu der Tafel hinter ihm, wo die Schlüssel an Haken auf rotem Filzgrund aufgereiht hingen. Ich muss mitten auf dem Kattegatt eine Zeitgrenze überquert haben und bin aus Versehen im 19. Jahrhundert gelandet. Winter schloss ungläubig die Augen. Als er wieder hinsah, hielt ihm der junge Mann einen Schlüssel hin.
    »Sie haben Glück«, sagte er. »Dritter Stock, Doppelzimmer, Fenster zum Platz.«
    Winter fuhr also mit seinen Taschen wieder hinauf und schloss mit dem Schlüssel auf, der aus Messing oder vergoldetem Blei war und mindestens sieben Kilo zu wiegen schien.
    Das Zimmer machte einen sauberen Eindruck und war groß. Winter trat ans Fenster und schaute durch die dünnen Gardinen hinunter auf den Platz und das DSB-Gebäude auf der anderen Seite des Kennedyplatzes. Zwei Soldaten standen vor dem Bahnhof, als wollten sie sein Auto bewachen. Busse fuhren hin und her. Winter sah einen Mann mit einer Wurst

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