Die Schattenfrau
Straßensänger hatte sich auf einem freien Platz linker Hand aufgebaut und gab etwas zum Besten von ewiger Jugend, die an die Himmelspforte klopfe.
Es war windig.
Sie blieben an der Kreuzung Ecke Bispensgade stehen.
»Ich verspüre hier immer ein starkes Unbehagen«, sagte Michaela Poulsen.
»Das kann ich verstehen.«
»Eigentlich hat man oft dieses Gefühl in unserem Beruf.« »Ich weiß, was du meinst.«
»Bitte schau einfach weiter geradeaus, während ich mit dir rede, aber ich glaube, da drüben an der Buchhandlung steht ein Typ, der sich mehr für uns interessiert als für die Bücher im Schaufenster.«
Winter musste sich anstrengen, um nicht den Kopf zu drehen. Stattdessen betrachtete er interessiert die dunklen Mauern der Bank vor sich. »Kennst du ihn?«, fragte er.
»Von hier aus kann ich das nicht genau erkennen, aber ich bezweifle es. So saudumm sind die nicht, dass sie jemanden auf uns ansetzen, den ich kenne.«
»Die haben anscheinend genug Nachschub«, meinte Winter.
»Die rekrutieren doch ständig neue Leute. Was hältst du davon, ein paar Schritte weiterzugehen, damit wir sehen können, was passiert?«
Sie liefen ein Stück Richtung Den Jyske Bank und blieben wieder stehen.
»Worüber sprachen wir gerade?«, fragte Michaela Poulsen. »Fällt dir ein, was das war?«
»Dass wir uns bei unserer Arbeit oft unwohl fühlen«, antwortete Winter.
Schweigend betrachteten sie Den Jyske Bank.
»Der Bursche von der Buchhandlung ist weitergegangen«, erklärte Michaela Poulsen dann. »Schau besser noch nicht hin, aber wir können jetzt weitergehen, sonst kriege ich noch einen Krampf.«
Sie liefen an der Buchhandlung vorbei. Nebenan im Fenster des Modehauses Nordjylland standen Schaufensterpuppen ohne Kleider und starrten sie aus gläsernen Augen an, und die Buchhandlung zeigte eine Auswahl neuer Bücher dänischer Bestsellerautoren.
»Er liest entweder Ib Michael oder Susanne Br0gger«, sagte Michaela Poulsen.
»Warum nicht beide?«
»Was liest du gern?«, fragte sie.
»Leider meist nur Berichte und Protokolle.«
»Manchmal hat man keine Zeit für was anderes. Immer ist da eine Ermittlung, die einen in Atem hält.«
»Das ist diesmal auch nicht anders«, seufzte Winter.
Sie waren auf der Bispensgade weitergegangen bis zum Vergnügungsviertel um die Jomfru Ane Gade. Man kam nur schwer voran unter den vielen, die sich zwischen Restaurants und Bars bewegten. Musik dröhnte von allen Seiten auf sie ein. Winter dachte an das Stadtfest in Göteborg. Hier herrschte die gleiche Stimmung, das gleiche ängstliche Suchen nach Frieden und Freude.
»Sollen wir uns irgendwohin setzen, wir haben ja jetzt festgestellt, dass wir beobachtet werden?«, schlug Michaela Poulsen vor.
»Ja, setzen wir uns«, stimmte Winter zu. »Es gibt eine annehmbare Brasserie in der nächsten Straße. Oder sollen wir versuchen, uns weiter hier durch das Gedränge zu wühlen?« »Im Gewühl zu bleiben wäre besser, glaube ich«, sagte Winter. »Da ist es leichter, uns zu beobachten, ohne dass wir es merken.«
»Er ist uns nach ein paar Minuten wieder gefolgt«, meinte Michaela Poulsen. »Du bist tüchtig.«
»Hier in Dänemark müssen wir das sein. Unser Leben kann davon abhängen.«
Winter war sich nicht sicher, ob das scherzhaft gemeint war.
»Er ist noch da«, sagte sie.
»Dann müssen wir ein Lokal mit Platz für drei finden.« Sie lachte.
Winter sah sich um. Hunderte von Schildern in grellem Neon: L. A. Bar, Fyrt0jet, RockNielsen, Down Under, Rendezvous, Faklen, RockCafeen, Duty, Jules Verne, Sunrise, Dirch pä Regensen, Fru Jensen, Gaslight, Pusterummet, Corner, Jomfru Ane's Dansbar, Giraffen, Musikhuset, Spirit of America.
Sie gingen ins Sidegaden. Das Motto des Lokals lautete: Die Nacht ist euer. Sie drängten sich an die Theke, und Michaela Poulsen bestellte zwei Flaschen Hof. Aus den Lautsprechern dröhnte der nächste Song.
»Clash«, sagte Winter. »London Calling.«
»Dachte ich's mir doch, dass du auf Rock stehst«, verkündete Michaela Poulsen. »Du siehst ja auch aus wie ein Bandleader. Ich mag Rockmusik gar nicht so gerne.«
Als Winter ihr widersprechen wollte, unterbrach sie ihn: »Er ist gerade hier vorbeigegangen. Da, jetzt wieder.«
Winter führte die Flasche zum Mund und drehte unauffällig den Kopf. Leute schlenderten die Straße entlang. Das war alles.
»Ich habe ihn noch nie vorher gesehen«, sagte Michaela Poulsen. »Aber ich bin sicher, der Typ überwacht uns.«
»Und was folgern wir
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