Die Schattenfrau
Ewigkeit smorrebrod essen.«
»Hab ich noch gar nicht.«
»Dann gibt es wohl keinen Grund, noch länger dort zu bleiben? Wenn du nicht vorhast, das gute smorrebrod zu essen?«
»Leb wohl, du Spinner«, sagte Winter und legte auf.
Eine Polizistin zeigte ihm den Ausgang. Winter hörte von irgendwoher lautes Rufen, Schreie.
»Das kommt aus den Ausnüchterungszellen«, erklärte die Polizistin.
»Scheinen mächtig voll zu sein«, sagte Winter.
Sie blickte ihn fragend an. »Die sind hier bei uns ständig belegt. Was sollen wir machen, wenn wieder welche anrufen und sich beschweren. Dann müssen wir eben die nächste Fuhre aus der Kneipe holen.«
»Die Leute suchen wohl Kontakt«, sagte Winter.
»Hier bekommen sie wahrlich Kontakt zu Gleichgesinnten.«
Winter ging die Treppe hinunter. Es war schon recht dunkel. Auf dem Güterbahnhof jenseits der Jyllandsgade klirrte Eisen auf Eisen. Winter machte sich auf den Weg zu seinem Hotel. Radfahrer und Autos fuhren an ihm vorbei. An einem Tabakladen verkündete ein Plakat die Schlagzeile des Extra-Bladet: »Blutbad unter Prostituierten - Messerstecher lief Amok in Bordell in Kopenhagen.«
Er zögerte vor dem Eingang des Park Hotels und ging stattdessen nach links über den Boulevarden weiter. Niemand stand am Fenster des Boulevard-Cafes, als er die ausgetretenen Stufen zur Kneipe hinaufstieg und die Tür öffnete. Eine Mischung aus Alkohol und Rauch schlug ihm entgegen, ein dicker Nebel, der in dem aus zwei großen Räumen bestehenden Lokal waberte. Die wenigen Tische an den Fenstern waren leer. Winter setzte sich und versuchte die Fassade seines Hotels durch die mit Fett beschmierte Scheibe vor sich zu erkennen. Das Fenster seines Zimmers konnte er nicht sehen. Nur wenige Fenster in der Hotelfassade waren erleuchtet.
Die Theke stand im hinteren Raum und davor einige Männer, die aus voller Kehle sangen, ein Lied von Glauben, Hoffnung, Liebe - und Alkohol. Eine mit weißer Bluse und schwarzem Rock bekleidete Frau saß an einem der Tische beim Essen. Als sie Winter bemerkte, stand sie auf und trocknete sich den Mund mit einem Handtuch ab, das im Rockbund befestigt war. Die Männer drehten die Köpfe in Winters Richtung, mitten im Lied, wandten sich dann aber wieder ab. Die Frau kam zu ihm an den Tisch. Winter bestellte ein Hof. Sie ging, holte eine Flasche aus einem großen Kühlschrank hinter der Theke und kam mit der geöffneten Flasche und einem Glas wieder. Winter bezahlte die wenigen Kronen. Er wartete mit dem Einschenken, bis sie sich wieder vor ihren Teller gesetzt hatte. Das Glas vor ihm war mindestens ebenso schmierig wie die Fensterscheibe vor seiner Nase. Winter wischte mit der Hand über den Flaschenhals und trank aus der Flasche wie ein Däne. Erst beim Trinken merkte er, wie durstig er war.
Das Fenster, durch das ihn der Mann beobachtet hatte, befand sich einige Meter weiter zur Bar hin. Der Mann war jetzt nicht da, sondern nur die singenden Männer und die Frau, die ruhig daneben saß und still ihr Essen zu sich nahm, als wäre sie allein. Eigenartig, dachte Winter. Wie in einem Theaterstück. Oder im Traum.
An einem Tisch ganz hinten im Lokal saß ein einzelner Mann in einem braunen Mantel, vor sich ein Bier und eine Flasche Schnaps, der vor sich hin starrte, ohne den Kopf zu bewegen -außer wenn er trank. Winter sah, wie der Arm sich regelmäßig hob. Ein Profi. Als die Frau fertig war, stand sie auf und holte dem Mann im Mantel ein neues Bier, ohne dass er ein Zeichen gegeben hatte. Winter trank sein Bier aus und stand auf. Die Männer sangen. Keiner schien ihm nachzublicken.
Michaela Poulsen rief vom Foyer aus an. Es war gerade acht Uhr vorbei. Winter war fertig und ging die Treppe neben den düsteren gerahmten Landschaften an den Wänden hinunter.
Sie trug eine gerade geschnittene Jacke und die dazu passende Hose und hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie wirkte jünger damit. Eine Gruppe Schweden saß im Speisesaal des Hotels beim Abendessen. Winter konnte seine Muttersprache hören.
»Die Stadt ist voller Schweden«, meinte er. »Und viele wohnen anscheinend hier im Hotel.«
»Ich möchte wissen, warum«, sagte Michaela Poulsen und blickte sich in diesem Ambiente ä la 19. Jahrhundert um. »Sollen wir wirklich ausgehen?«
Sie gingen den Boulevarden entlang, dann die 0sterägade. Es war viel los an diesem Abend. Winter hörte ständig Schwedisch und Deutsch. Sie begegneten auf dem Weg mehreren großen Gruppen. Ein
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