Die Schattenfrau
die alte Frau schon die Tür, als hätte sie drinnen gestanden und auf den ersten Klingelton gewartet.
Sie tranken eine Tasse selbst gemahlenen Kaffee, der in den Eingeweiden wühlte. Winter ließ sich nachgießen und erntete einen Seitenblick von Karin Sohlberg. Es roch staubig und süß im Zimmer, wie bei alten Menschen. Home sweet home. Winter rührte in seiner Tasse. Er las die tröstende Zeile auf zwei Wandbehängen. Das Fenster stand einen Spalt offen, und die Rufe der Kinder drangen herein.
»Frau Bergman, Sie haben also Helene und ihre Tochter länger nicht mehr gesehen?« Winter versuchte seiner Stimme einen sanften Klang zu geben.
»Ich wusste nicht, wie sie heißt.«
»Das Mädchen heißt Jennie«, erklärte Winter.
»Sie ist rothaarig«, ergänzte Ester Bergman.
»Ja.«
»Was ist mit ihnen passiert?«
»Wir wissen es nicht.« Winter beugte sich vor. »Deshalb sind wir hier.«
»Aber etwas muss doch passiert sein, sonst wären Sie nicht hier, oder?«
Ringmar sah Winter an. Karin Sohlberg blickte aus dem Fenster.
Es hat nicht viel Sinn, jetzt mit ihr zu reden, dachte Ringmar. Vielleicht später.
»Wir haben Ihren Brief bekommen, Frau Bergman, deshalb sind wir hier«, sagte Winter.
»Sind Sie wirklich Polizist?«, fragte Ester Bergman und starrte Winter aus zusammengekniffenen Augen an.
»Ja.« Winter stellte die Tasse ab.
»Sie sind noch so jung«, sagte Ester Bergman. Jetzt fange ich wieder an, wie eine alte Frau zu reden, dachte sie. Ich bin wohl nervös. Aber der junge Mann sieht nicht aus, als hätte er es faustdick hinter den Ohren. Wenn man sie sehen könnte. Er hat sich die Haare lang nicht geschnitten. Und fein gemacht hat er sich, als ginge er zur Hochzeit. Polizisten sollten doch wohl kurze Haare haben? Der andere hat kurzes Haar und ist älter. Aber er sagt nichts. »Sie können nicht viel älter sein als sie.«
»Als wer?«, fragte Winter.
»Als sie. Die Frau mit dem blonden Haar.«
»Sie ist also nicht mehr hier gewesen seit dem Wetterumschlag? Seit das warme Wetter zu Ende ist?«
»Da sind sie schon lange nicht mehr hier gewesen«, sagte Ester Bergman. »Es war warm, und ich habe viel am Fenster gesessen, aber ich habe sie nicht gesehen.«
Sie standen wieder auf dem Hof. Die Kinder waren nicht mehr da, und inzwischen war es dunkel.
»Wir gehen hinein«, sagte Winter, und Ringmar nickte. »Aber erst klingeln wir«, erklärte Winter an Karin Sohlberg gewandt. Sie nahm ihr Handy und rief den Schlosser an. Während sie auf ihn warteten, winkte Winter einmal Ester Bergman zu, die hinter dem Küchenfenster hockte.
»Sitzt sie immer dort?«
»Oft, glaube ich. Und da ist sie nicht die Einzige.« »Wohnen Sie selbst in der Gegend?«, fragte Winter. »Ich... Spielt das eine Rolle?«
»Tja, ich würde nur gerne wissen, ob Sie die Gegend kennen. Ob Sie auch außerhalb der Arbeitszeit hier sind. Oder nur tagsüber.«
»Ich wohne unten am Wieselgrensplatsen.« »Aha.«
»Mit dem Wagen ist man schnell hier.« »Ich habe in Ihrem Büro gesehen, dass Sie jeden Morgen hier sind.«
»Acht bis neun.«
»Dann sind das hier alles Wohnungen der Baugesellschaft?« »So weit wir sehen können.« »Heute ist das nicht viel.«
»Auch bei klarem Wetter ist hier nicht viel zu sehen«, meinte Karin Sohlberg. »Hier ist es durchaus an vielen Stellen schön, aber wenn man glaubt, was die Leute in der Stadt sagen, also auf der anderen Seite des Flusses, dann sind wir hier in Stalingrad oder so.«
»Ich finde, es sieht mehr wie Lützen aus«, sagte Winter.
»Warum nicht wie Göteborg«, schaltete sich Ringmar ein. »Da kommt übrigens jemand.«
»Das ist der Schlosser«, sagte Karin Sohlberg.
Die Treppe schien frisch gewischt zu sein und roch nach Reinigungsmittel. Wie in den anderen Eingängen waren die Wände unten aus grobem Backstein, der dann in gelben Putz überging. Winter las auf dem Klingelbrett: Perez. AI Abtah. Wong. Andersen. Shafai. Gustavsson.
Erster Stock. Andersen. Das Blut pochte in seinen Schläfen. Er wusste, dass Bertil es bemerkt hatte. Bertil wusste zwar nicht, dass Winter die Tote vor langer Zeit schon Helene getauft hatte, aber er verstand Winters Erregung ohne große Worte. Bertil griff bei einer Ermittlung ebenfalls nach jedem Strohhalm.
Jemand sagte etwas zu Winter, aber das Blut rauschte ihm in den Ohren, und er blinzelte.
»War es der erste Stock? Andersen?«
Er nickte dem Schlosser zu. Sie stiegen die Treppe hoch und blieben vor einer Tür stehen, an der ein
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