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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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weitergekommen auf der Jagd nach ihrem Mörder, aber die Genugtuung des Jägers blieb aus. Sie hatten in dieser Minute eine Ermittlung wiederbelebt, die beinahe vorzeitig beendet worden wäre. Aber jetzt ging es erst richtig los. Bald würde er Kraft ziehen aus der fortgesetzten Arbeit, aber im Moment empfand Winter nur Trauer, ein Gefühl, das dem Dunkel angemessen schien, das in der ärmlich eingerichteten Wohnung herrschte. Und eine Spannung erfüllte ihn, die er auf das Grauen zurückführte, das er empfand, als er nun ihre Fotografie betrachtete. Helene hatte ihren Namen zurückbekommen. Ihre Tochter lächelte auch auf dem Foto, herzlicher und offener als ihre Mutter. Das Mädchen namens Jennie. Es war nicht hier. Im ersten Augenblick war Winter erleichtert gewesen, die Kleine hier nicht... Nicht... Er hatte den Gedanken nicht zu Ende gedacht, aber er wusste, dass das Unaussprechliche, Undenkbare ihn begleiten würde. Bei der Jagd nach dem Mörder würden sie auch nach dem Mädchen suchen. Winter spürte einen stechenden Schmerz in der rechten Hand und blickte hinunter. Er umklammerte noch immer krampfhaft seine Waffe. Erst hatten sie einen Körper, aber keinen Namen. Nun hatten sie einen Namen. Und dazu hatten sie noch einen Namen ohne... Körper. Der Gedanke traf ihn hart, ließ ihn nicht mehr los.

29
    Drei Polizisten und ein Fotograf von der Spurensicherung arbeiteten sich durch Helene Andersens Wohnung, methodisch und mit vorsichtigen Bewegungen, das übliche Verfahren. Sie bepinselten die Zeitung, die auf dem Nachttisch lag, mit Ninhydrin ebenso wie alle anderen Gegenstände. Ninhydrin ermöglichte, auch sehr alte Fingerabdrücke sichtbar zu machen. Winter hatte gehört, dass das SKL in Linköping verwendbare Fingerabdrücke auf hundert Jahre alten historischen Dokumenten gefunden hatte. Salze und Proteine des menschlichen Schweißes dringen in das Papier ein, und bleiben dort haften, wie ein Handschlag der Geschichte.
    Abdrücke auf Stahl ließen sich nicht wegwischen. Sie blieben nachweisbar, als seien sie eingeätzt. Es gab sogar Wege, Fingerabdrücke noch auf nassem Papier zu finden.
    Die Techniker packten einige Gegenstände in die obligaten Tüten und versiegelten sie. Das Glas vom Nachttisch und etwas Spielzeug. Es war einfacher, im Labor daran zu arbeiten.
    Sie bepinselten die glatten Oberflächen der Wohnung mit dem schwarzen Kohlepulver, das Beier gar nicht mochte, wie Winter nur zu gut wusste. Beier ärgerte es, dass das Eisen in dem Pulver rostete, wenn es feucht wurde, und überall unschöne Flecken hinterließ. Indirekt waren es die Fingerabdrücke, die bei so einer Untersuchung in einer Wohnung viel zerstörten.
    Die Techniker suchten nach Abdrücken an Schaltern, neben Türen, auf Tischen und anderen Flächen, wo immer Hände sich bewegt hatten. Sie bepinselten die Stellen mit dem Pulver und warteten, bis es sich in den feinen Linien der Abdrücke abgesetzt hatte. Dann hoben sie es mit Klebefilm ab.
    Saß der Abdruck zu fest, lief man Gefahr, dass man keinen Abdruck bekam. Manchmal gingen sie dieses Risiko gar nicht erst ein, sondern fotografierten stattdessen zuerst die Stelle und versuchten dann, den Abdruck abzunehmen. So verfuhr man oft, wenn es sich um ein Kapitalverbrechen handelte und man nur einen Abdruck gefunden hatte. Der Fotograf verwendete immer Schwarzweißfilme.
    Karin Sohlberg weinte. Winter saß ihr im Servicebüro gegenüber.
    »Ester hatte Recht«, schluchzte sie.
    »Ja.«
    »Was sagt sie jetzt?«
    »Ich spreche gleich mit ihr.«
    »Wie schrecklich«, sagte Karin Sohlberg und wischte sich die Tränen ab. »Das Mädchen und alles.« »Sie erinnern sich an sie?«
    »Ich bin vollkommen durcheinander. Ich kann mich nicht richtig erinnern. Vielleicht später.«
    »Ja. Wir müssen Sie leider bitten, uns dann bei der Identifizierung zu helfen.«
    »Was heißt das? Muss ich mitkommen zum... Leichenschauhaus?«
    »Ja, leider. Wir müssen endlich Sicherheit haben. Wir werden auch die alte Dame bitten müssen. Es tut mir leid.«
    Sie blieb eine Weile in Gedanken versunken sitzen.
    »Es mag für Sie komisch klingen, aber ich bin ja, wie ich gesagt habe, noch nicht so lange hier«, sagte sie. »Vielleicht waren sie welche, die sich versteckt gehalten haben. Die Mutter.«
    »Sich versteckt gehalten haben?«
    »Manche hier verhalten sich ganz still. Lassen sich nicht so oft sehen.«
    Winter verstand, was sie meinte. Einsamkeit konnte einen Menschen dazu bringen, sich zurückzuziehen.

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