Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
Wahrscheinlich waren sie an sich nicht lebensgefährlich, aber sie hatte schon so viel Blut verloren. Er hätte den Blutfluss stoppen müssen, aber noch nie hatte er jemanden gesehen, der so übel zugerichtet war, und stand jetzt der Situation hilflos gegenüber.
Er spürte sein Herz heftig hämmern, und es dröhnte in den Ohren. Eine Stimme in seinem Innern schrie in einem fort.
Behutsam bettete er Dubhes Kopf auf dem Boden, schlug die Hände vors Gesicht und begann am ganzen Körper zu zittern. Wirre Gedanken rasten ihm durch den Kopf, Bilder von Tod und Verderben, und darunter eines besonders: ein Leichnam in einem langen weißen Gewand mit einem großen Blutfleck auf der Höhe der Brust und schwarzem Haar, das zerzaust in die Stirn und auf die Schultern fiel. Seine Mutter in dem Massengrab.
Dubhe und seine Mutter. Bei der einen war er noch zu klein, um sie zu beschützen, die andere hatte er unbedingt retten wollen und war daran gescheitert. Es war, als teilten sie beide dasselbe Schicksal, denselben Platz in seinem Herzen. Er schrie seine Verzweiflung hinaus. Ruhig, nur ruhig!, ermahnte er sich und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
Er riss sich einen Fetzen von seinem Gewand ab, tränkte ihn mit Wasser aus seiner Feldflasche und begann Dubhes Wunden zu säubern. Unzählige waren es, und unter all dem Blut waren sie zudem schlecht zu erkennen. Das Wasser war aufgebraucht, noch bevor er alle gewaschen hatte.
Wir sind verloren . . . Das können wir nicht schaffen.
Er versuchte, diese Gedanken so weit wie möglich von sich fortzuschieben, doch es gelang ihm nicht.
Er nahm den restlichen Stoff, der von dem Gewand übrig war, und riss ihn in Streifen. Es waren nicht genug, und außerdem waren sie zu kurz. Daher ergriff er den Umhang und zerriss auch den, ein schwieriges Unterfangen in seinem Zustand. Wut und Anstrengung ließen ihn aufschreien.
Die kleineren Wunden ließ er jetzt außer Acht und kümmerte sich nur noch um die tieferen, wobei er mit der verletzten Hand begann. Er verband sie so fest wie möglich, während das Blut seine Finger besudelte. Wieder würgte es ihn, aber er stemmte sich dagegen. Dann rief er die Formel für den Heilzauber, merkte aber bald, dass er nicht helfen würde. Stockend und schwach floss die Energie aus seinen Händen. Das reichte nicht.
Das hast du schon einmal durchgestanden. Es ist die gleiche Situation wie damals in der Wüste. Los, konzentrier dich!
Doch es war anders als damals. Jetzt waren seine Kräfte völlig erschöpft, und Dubhe ging es noch schlechter. Außerdem würde ihnen hier niemand zu Hilfe eilen. Sie waren allein und verlassen in einer völlig fremden Welt.
Als er mit der Hand fertig war, verband er, so gut es ging, die anderen Wunden. Bei jeder einzelnen versuchte er es mit einem Heilzauber, war aber zu erschöpft, um große Wirkung zu erzielen. Sein Blick trübte sich immer mehr, seine Hände zitterten. Und im Geist immer noch das unauslöschliche Bild des Massengrabs, das ihn quälte.
Diesmal wird es anders sein. Die Gilde wird Dubhe nicht bekommen! Egal wie kraftlos er war, musste er nun, da alle Wunden versorgt waren, Dubhe auf die Schulter nehmen, um irgendwo Hilfe zu suchen. Beim ersten Versuch gaben seine Beine unter dem Gewicht nach. Erst beim dritten Mal gelang es ihm, sie zu schultern, wobei er weiter wacklig auf den Beinen stand.
Er hatte keine Ahnung, wohin, doch am naheliegendsten war es, den Weg fortzusetzen. Kurz dachte er an Sennar und daran, dass er vielleicht ganz in der Nähe wohnte, doch im nächsten Moment kam ihm das alles furchtbar absurd und aussichtslos vor. Im Grund wusste er nicht mehr weiter.
Er war besiegt worden. Die Gilde hatte ihn bezwungen. Und es hatte nichts genutzt, den Hass zu unterdrücken, um stärker zu werden, sich dem Widerstand anzuschließen und den Kampf gegen sie aufzunehmen. Der Schwarze Gott war mächtiger und nahm ihm alle, die ihm lieb waren.
Wieder gaben die Knie nach, und am liebsten hätte er sich einfach fallen lassen. Tränen verklebten seinen Mund, verschleierten seinen Blick, und alles ringsum war wirr und verschwommen.
Doch genau in diesem Moment hatte er das Gefühl, nicht allein zu sein. Er riss die Augen auf: Runde Gestalten beiderseits des Pfades waren hinter den Felsen hervorgetreten und bewegten sich auf ihn zu. Alarmiert durch das Drachengebrüll, hatten sie dem Kampf beigewohnt, es aber nicht gewagt, sich einzumischen. Doch angesichts des weinenden Mannes hatten sie nun
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