Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
sie.
»Meine Mutter war allein, mein Vater hatte sie vor meiner Geburt sitzen lassen, und sie hatte nur mich. Und so begab sie sich zum Schwarzen Gott, zu Thenaar, und bot sich als Postulantin an.« Lonerin strich sich mit der flachen Hand über das Gesicht.
Dann fuhr er fort: »Ich wurde wieder gesund, aber meine Mutter kehrte nicht mehr zurück. Wir haben nach ihr gesucht, haben uns selbst zum Tempel aufgemacht, ich und die Nachbarin, bei der sie mich gelassen hatte, aber von meiner Mutter keine Spur. Erst einige Monate später erfuhr ich, was geschehen war. Es gab da so einen Acker, nicht weit von den Orten, an denen ich mit meinen Freunden spielte, und dieser Acker ... war voller Knochen ... und einmal haben wir uns dorthin gewagt ... meine Kameraden und ich ... und da fand ich sie ... sie lag in einer Grube ...«
Dubhe konnte sich das Grauen lebhaft vorstellen. Sie schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen? Es gab keinen Trost. Das wusste sie.
»Wir bargen ihre Leiche und beerdigten sie. Und ich kam zu einem Onkel. Einige Jahre lang überlegte ich nur, wie ich Rache nehmen könnte. Ich würde die Gilde vernichten, diese Schweine alle umbringen, auch wenn es mich selbst das Leben kostete, so dachte ich. Dann jedoch lernte ich Meister Folwar kennen, der mich lehrte, dass es auch einen anderen Weg gibt. Mein Groll würde mich nur in die Irre leiten. Ich musste ihn verwandeln und neue Kraft daraus schöpfen. Deshalb wandte ich mich der Magie zu, um meinem Schmerz und meinem Hass einen Sinn zu geben. Und deshalb ließ ich mich auch in den Bau der Gilde schicken und meldete mich dann freiwillig für die nächste Mission.«
Dubhe senkte den Blick. Das hatte sie nicht gewusst, sah ihn nun in einem neuen Licht.
»Ich habe seine Hand verglühen lassen und dabei gejubelt. Und obwohl mir klar geworden war, dass er nur deshalb so verbissen kämpfte, weil er Rekla liebte, wollte ich ihn töten. Ich konnte mich dann aber beherrschen. Doch wer weiß.« Eben. Das war der große Unterschied zwischen ihnen beiden. Er hatte noch eine Wahl, konnte haltmachen vor dem Abgrund. Sie nicht. Sie selbst wurde immer wieder erbarmungslos hinabgezogen.
»Ich habe auch falsch gehandelt, habe meinen Trieben nachgegeben. Deshalb musst du dich nicht schuldig fühlen.«
Dubhe lächelte bitter. »Willst du im Ernst deinen kurzen Moment der Schwäche mit dem Gemetzel vergleichen, das ich angerichtet habe?«
»Aber du warst doch nicht bei dir. Du konntest einfach nicht anders. Es wäre doch wohl nicht besser gewesen, wenn du zugelassen hättest, dass Rekla dich umbringt. Wem wäre damit gedient gewesen?«
Dubhe senkte den Blick. Sie wusste es auch nicht, aber alles wäre besser gewesen als die Schuldgefühle, die sie jetzt plagten, als der Abscheu vor sich selbst. »Schuld ist doch nur der Fluch, dieses verdammte Siegel. Das macht dich kaputt, sorgt dafür, dass dieses ganze Unheil geschieht. Aber das bist nicht du. Das muss dir doch auch klar sein!« Lonerin ergriff ihre Hand, drückte sie und sah ihr dabei lange in die Augen.
»Du hast noch nie jemanden getötet, deshalb kannst du das nicht verstehen. Auf die Gründe kommt es nicht an. Es zählt nicht, ob du ein Recht hattest, jemandem das Leben zu nehmen, und es ist auch gleich, ob es ein tragischer Unfall oder sonst irgendetwas war. Nur die Tat zählt. Danach ist dann nichts mehr wie zuvor. Der Tod wird Teil deiner selbst, mischt sich in dein Blut, durchfließt deinen Körper, vergiftet dich. Deswegen ... ist mein Meister gestorben ... Und die Bestie ist nicht außerhalb von mir, sondern lauert in mir.«
Lonerin schüttelte heftig den Kopf. »Nein, da irrst du dich aber gewaltig. Du bist keine Mörderin und bist es auch nie gewesen. Früher waren es die tragischen Umstände, heute ist es der Fluch, die dir das alles aufzwingen. Aber nicht du selbst, du suchst das Leben, nicht den Tod.«
Seine Miene war ernst, aufrichtig. Er selbst glaubte, was er da sagte oder zumindest wollte er es. Dubhe versetzte es einen Stich.
Würde er mich wirklich lieben, verstände er mich besser. Würde ich ihn lieben, genügte mir dieser Blick.
Aber so war es nicht. Sie war allein. Allein mit ihrem Grauen. Und obwohl er es mit eigenen Augen gesehen hatte, verstand er es nicht. Er liebte nicht alles an ihr, liebte nicht ihre blutbesudelten Hände. Was er liebte, war ihr Bild, ihre Zerbrechlichkeit und ihre Schwäche. Und sie? Sie liebte die Dinge an ihm, die sie an ihren Meister erinnerten, liebte seine
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