Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
schwächer, doch sein Geist ist fest, entschlossen. Es ist die Entschlossenheit der Verzweiflung.
Wieder passiert nichts, nur die Klänge, die er hört, werden tiefer, dröhnender, anhaltender.
Seine Hände brennen, als habe er sie ins Feuer gehalten. Aber auch das ist normal, er muss dem Totenreich von seinem Leben schenken, von seiner Energie, um vor seine Tore gelassen zu werden. Noch einmal wiederholt er die Formel, schreit sie hinaus ins Nichts, fällt entkräftet auf die Knie. Seine Hände fühlen sich an wie abgewetzt bis auf die Knochen, so als sei noch der letzte Tropfen seines Daseins ausgepresst worden. Aber das ist gleich. Es ist ja alles für sie, alles.
Da beginnt die Leere, Gestalt anzunehmen. Die Farben tanzen in der Luft, und die ihm bekannte Welt verschwindet. Er hat es geschafft. Er ist eingedrungen. Undeutliche Formen entstehen vor seinen Augen, verschmelzen, nehmen das Aussehen irgendwelcher Wesen an.
Sennar weint, ohne Zu schluchzen, bewegt von Freude und Schmerz, und auf Anhieb erkennt er sie, als sieb ihre Gestalt vor ihm abzeichnet. Sie ist unverwechselbar, wunderschön, einzigartig. Ihr Haar, so lang wie damals, als sie starb, glitzert bläulich in der Dunkelheit. Sie trägt ihre Kampfmontur und ist so jung wie als Dracbenritterin, während er jetzt alt ist, aber das ist gleich. Er beobachtet sie, wie sie sich verwirrt umschaut, dann den Blick auf ihn richtet, ihn erkennt. »Nihal. . . «
Sic lächelt sanft. Wie sehr hat ihm dieses Lächeln gefehlt. Es lohnt sich zu sterben für dieses Lächeln, für diesen einzigartigen Moment, da er Gelegenheit hat, sie wiederzusehen. Es ist gleich, wenn dadurch all seine Kräfte verloren gehen und sich im Nichts auflösen.
»Was tust du hier, Sennar?«
So wie ihr Blick ist auch ihre Stimme gramerfüllt. Einst war er es, der sie beschützen konnte, der ihr zur Seite stand, wenn sie in den Abgrund geschaut hatte, der ihr half, ihren Weg zu finden. Nun scheint es umgekehrt Zu sein.
»Ich wollte dich wiedersehen. Du fehlst mir so sehr . . . « »Auch ich vermisse dich.« Sie streckt eine Hand zu ihm aus, streichelt ihm über die Wange, doch ihre Hand hat keine Festigkeit, sie ist unberührbar. Er wusste, dass es so sein würde, aber nun ist es doch unerträglich, ihre Berührung nicht spüren zu können.
»Wodurch hast du dich so verändert? Früher hättest du das niemals getan.«
»Ich bin wie tot, mein Innerstes ist mit dir gestorben, ruht mit dir in deinem Grab. Und was mir noch geblieben war, hat Tarik mitgenommen.« »Er liebt dich, auch wenn er es sich nicht eingestehen will.« »Nur dich hat er geliebt.«
Sie lächelt ihn traurig an, aber sie wirkt ruhig, versöhnt, so wie in ihren letzten Lebensjahren, als das Zusammensein mit ihrem Mann und ihrem Sohn sie glücklich gemacht hat.
»Es ist nicht recht, dass du hier bist, Sennar, das ist nicht dein Platz und meiner auch nicht. Kehr zurück!«
»Ich kann nicht ohne dich leben.«
»Eines Tages werden wir erneut vereint sein, mein Geliebter, aber jetzt nicht, nicht auf diese Weise. Merkst du nicht, dass du dich verzehrst, dass du stirbst?«
»Das ist mir gleich. Tarik hat mich verlassen, er hat seinen Weg gewählt, und ich werde nicht mehr gebraucht. Nimm mich mit!«
Schmerz zeichnet sich in Nihals Zügen ab, und Sennar geht es durch Mark und Bein. Er versucht, ihre Wange zu streicheln, hat aber keine Kraft mehr dazu. »Du kannst noch nicht sterben. Glaub mir, du wirst noch gebraucht werden. Deine Mission ist noch nicht beendet. Und zudem will ich nicht, dass du stirbst.« »Aber ich kann nicht ohne dich leben!«
»Das ist nicht wahr, und das weißt du. Lass mich gehen, denk an die glücklichen Jahre, die wir zusammen verbracht haben, und lass mich gehen!« »Nimm mich mit!«
»Keine Angst, wir werden uns wiedersehen, doch nun musst du mich loslassen. Jeder hat seinen Platz, und der deine ist nicht hier.« »Nimm mich mit.«
Doch Sennars Kraft lässt nach, seine Energien sind verbraucht. Langsam, fast gegen seinen Willen, legt er die Hände zusammen. Manche Dinge sind eben nicht möglich, sosehr man sie sich auch wünscht. Nach und nach entschwindet sie wie Rauch, der in den Himmel aufsteigt. Dabei lächelt sie, lächelt weiter, während sich ihr Gesicht schon im Dunkel auflöst.
Sennar ruft ihr nach, doch Nihal lässt ihn allein, kehrt zurück ins Reich der Schatten, und sie werden sich nicht mehr wiedersehen. Eines Tages würden sie wieder zusammen sein, bat sie gesagt, aber er
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