Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
sie, erkundigte sich nach ihrem Befinden und nach dem Rang von Folwar, den er offenbar noch aus ihrer Jugendzeit kannte. »Ido ist noch nicht wieder gesund, deswegen konnte er nicht zur Begrüßung kommen.«
Bei diesen Worten aus Dafnes Mund erstarrte Sennar, und in seinem Blick zeigte sich wieder jene seltsame Kälte, die Dubhe schon häufig aufgefallen war. Sie hatte sie zunächst für Gefühlskälte gehalten, dabei handelte es sich um den letzten Schutz, den der Magier der Flut von Erinnerungen entgegensetzen konnte, die ihn auch jetzt wieder zu überwältigen drohte.
»Er hat auch Euren Enkel mitgebracht. Aber gehen wir doch hinein.«
Als Sennar Ido dann traf, hatte er vielleicht schon eine Vorahnung, war in gewisser Weise vorbereitet durch die Art, wie Dafne mit ihm geredet hatte - ernst, gefasst - und wie sie mit ihm umging, wie mit einem kostbaren, zerbrechlichen Gut. Und wieso sprach sie nicht von Tarik? Dafür aber von einem Enkelsohn?
Langsam betrat er den Raum, über dem Gesicht die Maske, unter der er alles verbergen wollte - Wehmut und Schmerz, Erinnerungen und Schuldgefühle. Ido schien ihm zwar gealtert, aber doch nicht so sehr. Sein schlohweißes Haar und seine erschöpfte Haltung auf dem Sessel mochten täuschen, aber im Grund war er immer noch der alte Ido, zäh und nicht unterzukriegen. Gewiss, er war noch nicht ganz wiederhergestellt, aber er lebte.
Wahrscheinlich hatte der Gnom von ihm selbst einen ganz anderen Eindruck. Er war ja innerlich seit Langem tot, und das Einzige, was ihn noch auf den Beinen hielt, war ein dumpfer Überlebenswille. Er bemühte sich, Ido anzulächeln, aber es geriet ihm mehr schlecht als recht. »Ido ...«
Der Gnom erhob sich ein wenig mühsam, ging ihm entgegen und umarmte ihn lange und herzlich. Solch eine Wärme, dachte Sennar unwillkürlich, hatte er viele Jahre nicht mehr gespürt. Und wie sehr hatte sie ihm gefehlt.
»Ich hätte nie zu hoffen gewagt, dich noch einmal wiederzusehen«, murmelte der Gnom. Er löste sich von ihm und blickte ihn an. »Du bist alles, was mir von der Vergangenheit geblieben ist. Weißt du das? Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue.« »Ich mich auch, Ido, ich mich auch.«
Sennar spürte den salzigen Geschmack von Tränen in der Kehle. Er wusste es. Gleich würde es geschehen, und es gab nichts, womit er es hätte aufhalten können. Dieses süße Gefühl des Friedens, das er jetzt beim Wiedersehen seines alten Freundes genießen durfte, würde bald schon hinweggefegt werden. »Wann ist Soana gestorben?«, fragte er, vielleicht nur, um den Augenblick der Wahrheit hinauszuzögern.
Idos Schultern sanken leicht ein. »Bald nachdem du aufgehört hattest, mir zu schreiben.«
Sennar schnürte es das Herz zusammen. Soana verdankte er so unermesslich viel, und auch Nihal war in besonderer Weise von ihr geprägt worden. »Ein Schmerz, den wir jetzt teilen können«, sagte Ido, während er ihn vielsagend anblickte.
»Ja, aber es sind schon viel zu viele von uns gegangen«, antwortete Sennar.
Er atmete tief ein. Der Moment war gekommen.
»Ido, sag mir die Wahrheit.«
Der Gnom versuchte erst gar nicht, sich überrascht zu geben oder vom Thema abzulenken. Viele, viele Jahre hatten sie sich nicht gesehen, aber sie kannten sich noch sehr gut. So blickte er Sennar nur fest in die Augen und sagte es ihm. Später berichtete jemand, draußen vor der Tür Sennars Reaktion mitbekommen zu haben, sein fassungsloses Schweigen, während Ido ihm die ganze Geschichte erzählte. Andere wollten wissen, der greise Magier habe laut geheult vor Schmerz und vor Wut. Lonerin aber interessierte es nicht, ob Sennar geweint hatte, geflucht oder wortlos zugehört, während er vom Tod seines Sohnes erfahren musste. Er hielt sich fern von diesem Tratsch, von jenen Leuten, die versuchten, im Innenleben eines Helden herumzukramen in der Hoffnung, dessen Geheimnis zu ergründen. Trauer ist heilig, dachte Lonerin, und jeder Mensch hat das Recht, sich ihr zu überlassen, ungestört, allein.
Deshalb hatte Ido auch darauf bestanden, Sennar selbst die Mitteilung zu machen. Danach hatte sich der Magier ganz zurückgezogen, sich in seiner Kammer eingeschlossen und von allen und allem abgekapselt.
Lonerin stellte sich vor, wie der Schmerz Sennar zerriss. Doch ein Mann wie er, der in seinem Leben so viel gesehen, verstanden und hingenommen hatte, würde auch das überwinden. Und dann war da ja noch San ...
Lonerin sah den Jungen kurz nach ihrer
Weitere Kostenlose Bücher