Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
machte eine begütigende Handbewegung. »Nicht schlimm, mach dir keine Gedanken.« Dann blickte er Dubhe an. »Und nun zu dir.«
Die Untersuchung, der Sennar sie jetzt unterzog, war nicht anders als jene, die sie bereits erlebt hatte. Wieder kam sie sich wie ein Insekt unter einem Vergrößerungsglas vor und musste die bekannte Reihe von Untersuchungsmethoden -glühende Holzscheite, merkwürdige Pflanzen, Rauch und anderes — über sich ergehen lassen. Auch wenn es ein eigenartiges Gefühl was, dass nun solch ein großer Magier die Untersuchung durchführte, war ihr nichts fremd. »Wie hältst du den Fluch unter Kontrolle?«, fragte er sie.
»Solange sie in der Gilde war«, begann Lonerin für sie zu erklären, »mit einem Grünkrautaufguss und Drachentrank, und danach habe ich selbst einen Trank entwickelt, der weniger abhängig machte und dem ich ein wenig Mondstein beigab. Als auch dieses Mittel aufgebraucht war, rieten mir die Huye, es mit Ambrosia zu versuchen.«
Dubhe hatte keine Ahnung gehabt, aus welch sonderbaren Substanzen sich ihre Mittel zusammensetzten.
Sennar nickte ernst und betrachtete dann das Symbol noch einmal genauer. »Ich kann mir vorstellen, was du durchmachen musst ...«
Es geschah zum ersten Mal, dass ein Magier, der sie untersuchte, ihre Qualen erwähnt und sie damit direkt als Mensch ansprach. Sie war gerührt. Sennar schien über den Fluch, über die Bestie und sogar sein eigenes Tun hinausblicken zu können. »Ja, es ist schlimm«, murmelte sie.
»Kein Wunder ... Das geht jetzt schon fast ein Jahr so, nicht wahr?« Dubhe nickte. Im Blick des alten Magiers erkannte sie Sympathie, ein wenig Trauer, aber vor allem Anteilnahme. Er lächelte. »Weißt du, als ich dich heute Morgen bei deinen Übungen sah, hast du mich stark an Nihal erinnert. In einem gewissen Sinn litt sie ebenfalls unter einem Fluch.«
Sein trauriger Blick traf Dubhe bis ins Mark. Sie selbst wie Nihal ...?
Sennar ließ ihren Arm los. »Das ist wohl ein übertragenes Siegel«, erklärte er. Dubhe blickte ihn mit fragender Miene an. Übertragen? Das war neu. Diesen Begriff hatte im Zusammenhang mit dem Siegel noch niemand erwähnt. »Erzähl mir mal genau, wie das alles gekommen ist. Und denk auch mal nach: Sind dir vielleicht schon seltsame Dinge aufgefallen, bevor du die ersten Anzeichen feststelltest?«
Mit unsicherer Stimme berichtete Dubhe ihm in knappen Worten alles, was geschehen war: vom Einstich der Nadel über den Besuch in der Villa, wo sie ihren ersten Zusammenbruch erlebte, bis zu dem Blutbad im Wald.
»Dann ist alles klar«, bemerkte Sennar mit ernster Miene. »Es stimmt, die Gilde hat dich mit dem Fluch belegt, aber ich glaube, es geschah im Auftrag eines Dritten.«
Dubhe war sprachlos.
»Der Fluch, der auf dir lastet, war auf jemand anderen gerichtet und wurde erst später auf dich übertragen. Ich erkläre dir, wie das funktioniert: Es gibt einen verbotenen Zauber, mit dem sich Objekte schützen lassen. Weiß jemand, dass ein anderer ihm etwas sehr Wertvolles oder sehr Wichtiges entwenden will, kann er diesen Gegenstand mit einem Fluch belegen, wodurch den Dieb, egal wer es sein mag, seinerseits der Fluch trifft. Dies ist die einfachste Form. Wenn diese Person jedoch weiß, wer ein Interesse an diesem Gegenstand haben könnte, kann sie dafür sorgen, dass jedweder Dieb als Überträger des Fluches auf denjenigen fungiert, der den Diebstahl wahrscheinlich in Auftrag geben wird. Kannst du mir folgen?«
Dubhe nickte schwach. Das hörte sich ganz schön kompliziert an.
»Nehmen wir ein Beispiel. Ein bestimmter Magier besitzt ein mächtiges magisches Artefakt und erhält Kenntnis, dass ein anderer Magier danach verlangt, weil er weiß, was er damit anfangen kann. In anderen Händen wäre dieser Gegenstand wertlos. Also verflucht er diesen Gegenstand auf solche Weise, dass sich dieser Fluch auf alle Fälle auf diesen bestimmten Magier überträgt, egal wer nun das Objekt des Begehrens stehlen sollte. Ein sehr subtiles Verfahren, wenn man es sich genauer überlegt. Denn sobald das Siegel geschaffen ist, kann der erste Magier den zweiten darüber unterrichten, sodass sich jener nicht nur von dem betreffenden Gegenstand fernhalten, sondern auch daran interessiert sein muss, dass er nie gestohlen wird. Verstanden?« Dubhe nickte.
»Die Dokumente, die du gestohlen hast, waren durch solch ein Siegel geschützt. Der Fluch war nicht gegen dich gerichtet, sondern gegen den, der den Diebstahl in Auftrag gab.
Weitere Kostenlose Bücher