Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
den Weg zu weisen.
Dubhe empfand seine Worte als beruhigend. Dieses Licht, das ihnen die Richtung vorgab, hatte etwas Tröstliches, und einen Moment lang fühlten sich beide weniger verloren.
In den ersten Tagen ihrer Wanderung war das Sirren und Summen der Insekten ringsum das einzige Geräusch, das die unheimliche Stille durchbrach. Auch diese waren ungewöhnlich. Entfernt ähnelten sie denen in der Aufgetauchten Welt, hatten gleichzeitig aber auch etwas sehr Befremdliches. Einmal entdeckten sie morgens einen Käfer mit einem kunterbunten Panzer und unzähligen Füßen unter seinem rundlichen Leib, ein anderes Mal war es ein großer gelber Schmetterling mit sechs Flügeln, der sie mit seinem schwerelosen, harmonischen Flug verzauberte. Wieder ein anderes Mal schlängelte sich ein Wurm von der Länge einer Hand mit grotesken Bewegungen über ihren Weg, um sich irgendwann aufzurichten und sie aus acht schwarzen Augen anzustarren.
Darüber hinaus regte sich nichts im Wald, nicht der leiseste Windhauch. Nur einmal hörten sie etwas Eigenartiges. Einen Schrei in der Ferne, fast ein Brüllen, und obwohl nicht laut, zuckten beide in der vollkommenen Stille zusammen. Lonerin blickte sich hektisch um, während Dubhe zum Bogen griff. So standen sie eine ganze Weile reglos da, doch der Wald schwieg wieder. »Das war ein Drache«, flüsterte Lonerin und fragte sich, woher der Schrei gekommen sein mochte. Gab es hier überhaupt Drachen? Sennar hatte zumindest keine erwähnt ... Dubhe schüttelte sich. Etwas Bedrohliches hatte in dem Brüllen gelegen, und ohne besonderen Grund dachte sie an den Bau der Gilde und an Rekla. Mehr und mehr fühlte Dubhe sich beobachtet. Seit sie der Fluch getroffen hatte, war sie nie wirklich allein, weil tief in ihrem Innern die Bestie schlummerte, jederzeit bereit hochzufahren und die kleinste Schwäche ihrerseits sofort auszunutzen. Doch nun war es nicht nur die Bestie, die auf der Lauer lag, sondern noch etwas anderes. Ein unterschwelliges Gefühl der Bedrohung, so als hätten sie alle Augen, die Stämme, Äste, Blätter und Blüten. Unzählige Blicke, alle nur auf sie gerichtet.
Hin und wieder holte Lonerin die Karte hervor und studierte sie eine Weile, bevor sie weitergingen. Eigentlich war es sinnlos, aber Dubhe verstand, dass es ihm Sicherheit gab. Er war zu bewundern. Wie er sich bemühte, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Nerven unter Kontrolle zu halten, hatte etwas Heroisches. Denn sogar ihr, Dubhe, die doch zur Kaltblütigkeit erzogen war, fiel es in diesem Wald schwer, nicht nervös zu werden.
Und als wenn das alles noch nicht gereicht hätte, wurde es tagsüber auch noch unerträglich heiß. Lonerin legte sein Wams ab und kämpfte sich mit schweißbedecktem nacktem Oberkörper durch das Dickicht, während Dubhe nur ihr Oberteil anbehielt.
Fast immer vom Laubwerk verdeckt, zog die Sonne am Himmel ihre Bahn. Nur wenn sie zu einer Lichtung kamen, explodierte das Licht und blendete sie derart, dass sie einige bange Momente überstehen mussten, weil sie vollkommen die Orientierung verloren.
Es war, als bewegten sie sich in einer Sphäre ohne Zeit und Raum an einem immer gleichen Ort, der bedrohlich wirkte, ohne dass die Gefahr deutlich zu erkennen war. Eine Situation, die ihre Nerven extrem strapazierte. Dubhe kam damit besser zurecht als Lonerin. Gewiss, 4 auch sie belastete es, jeden Augenblick auf der Hut sein zu müssen, auch sie hatte Angst, eine unterschwellige Angst vor etwas, das nicht zu benennen war, doch noch gelang es ihr, die Nerven zu behalten.
Lonerin hingegen wurde immer nervöser, holte dauernd die Karte hervor, kontrollierte zwanghaft die Nadel und blickte sich fortwährend hektischer um. Dubhe hätte ihn gern irgendwie beruhigt, doch auf diese Situation war sie ganz und gar nicht vorbereitet. Stets hatte sie nur auf sich selbst aufgepasst oder von ihrem Meister Schutz und Trost erfahren. Wie man einen anderen Menschen tröstete und beruhigte, wusste sie daher nicht. Wie machte man einem anderen Mut? Lonerin schien dazu in der Lage, sie selbst war dieser Kunst nicht mächtig. An einem Nachmittag, fast eine Woche nach ihrer Ankunft in den Unerforschten Landen, vernahmen sie plötzlich verdächtige Geräusche. Dubhe als Erste. Die Bestie in ihr hatte ihre Sinne geschärft, der einzige Vorteil unter all den entsetzlichen Folgen, die der Fluch für sie mit sich gebracht hatte. Im ersten Moment glaubte sie noch, sie habe sich vielleicht getäuscht.
Doch Lonerin
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