Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
doch sie musste es schaffen, egal wie.
Lonerins Worte kamen ihr in den Sinn, die er zu Beginn der Reise zu ihr gesagt hatte, und plötzlich klangen sie so streng wie ein Befehl.
>Ich habe eine Mission zu erfüllen, von der das Leben sehr vieler Menschen abhängt. Dafür bin ich bereit, alles zu geben. Dass es schiefgehen, dass ich auch scheitern könnte, daran denke ich überhaupt nicht. Nicht zuletzt, weil das den Erfolg gefährdete Als sie wieder zu der Stelle kam, wo Lonerin abgestürzt war, krampfte sich ihr Herz in der Brust zusammen. Sofort machte sie sich fieberhaft daran, nach Spuren von ihm zu suchen: einem Fetzen seiner Kleidung vielleicht, einem Zeichen, irgendetwas, das ihre Hoffnung wieder neu entfachen könnte. Doch sie fand nichts, so als habe die Erde ihn vergessen. Als sie sich zögernd vorbeugte und die Steilwand hinunterlugte, hatte sie wieder Lonerins selbstsicheres Lächeln vor Augen. Es war geradezu heroisch, wie er in den Tod gegangen war.
Unter ihr toste das Wasser, doch von ihrem Gefährten auch hier keine Spur. Plötzlich fühlte sie sich sehr allein und wusste auch nicht, wohin sie sich wenden sollte, denn ihr fehlte jetzt die von Ido gezeichnete Karte. Die hatte Lonerin bei sich getragen, in seinem Wams, hatte sie mit in den Tod genommen. Ganz grob konnte sich Dubhe zwar an die Zeichnung erinnern, an Einzelheiten jedoch nicht. In welche Richtung ging es nun weiter? Immer noch schwer atmend blickte sie sich um. Bei dem Gedanken, dass Rekla ihr schon auf den Fersen war, kam sie sich wie in einer Falle vor. Diese Frau würde alles daran setzen, sie wieder in die Finger zu bekommen und ihr die Schmach heimzuzahlen.
Immer mutloser wurde sie. Zu früh hatte sie sich von der Begeisterung packen lassen und wusste jetzt schon nicht mehr weiter. Reglos saß sie am Rand des Abgrunds, unfähig aufzustehen, und fühlte sich genauso wie damals, als ihr Meister gestorben war. Ganz allein konnte sie es nicht schaffen. Ganz allein konnte sie wieder nur kriechend und vegetierend dem traurigen Weg folgen, den ihr das Schicksal vorgab.
Sie dachte zurück an die letzten gemeinsamen Momente mit Lonerin, wie er über die Karte gebeugt dagesessen hatte, dann das Geräusch seiner Schritte im Gras, als er sich ein wenig entfernt hatte, um sich die Steilwand anzusehen, die er dann hinunterstürzen sollte.
>Dort drüben kommen wir wohl nicht weiter. Da müsste ein steiler Abbruch sein, ich denke, wir werden uns einen anderen Weg suchen müssen ... < Diese Worte hörte sie so deutlich, als stehe Lonerin gleich hinter ihr und wiederhole sie noch einmal. Einen anderen Weg? Aber welchen bloß? Und wohin? In die Berge. In diese Richtung hatten sie sich bewegt. Das Gelände war steiniger, hügeliger geworden. Und dann der Abgrund.
Deutlich erinnerte sie sich nun wieder, dass Lonerin eine Weile zuvor von unterirdischen Wegen gesprochen hatte, von tief eingeschnittenen Schluchten durch das Gebirge, die ihnen Umwege oder Klettereien ersparen würden. Fand sie diese Abkürzungen, umso besser, andernfalls würde sie eben klettern müssen. Aber aufhalten lassen durfte sie sich nicht. Das ging nicht.
Zornig wischte sie sich die Tränen aus den Augen und stand auf. Vor ihr lag ein Weg, der keine Hoffnung machte, aber manchmal musste man sogar darauf verzichten.
Als Rekla die Steine in ihrer Tasche fand, war ihr immer noch ein wenig schwindlig. Ein Stück weiter sah sie die zerschnittenen Fesseln und daneben eine Glasscherbe, die im Gras glitzerte. Es war nicht zu fassen. Wieder war ihr das Mädchen entwischt, und Thenaar würde nie mehr das Wort an sie richten. Sie würde allein sein, ohne Beistand, so wie damals, als sie noch ein kleines Mädchen war.
Mit einem Tritt stieß sie die Flasche mit dem Schlafmittel um, die Dubhe ihr vor die Nase gestellt hatte, und stand auf. Sie kannte es gut, dieses Gebräu, selbst der unerfahrenste Assassine wusste es herzustellen. Die Flüssigkeit ergoss sich über den Boden, und Dämpfe stiegen auf.
Filla lehnte an einem Baumstamm und atmete schwer. Obwohl weiter entfernt von der Flasche, hatte das Schlafmittel bei ihm intensiver gewirkt, und er hatte Mühe, vollkommen zu sich zu kommen. Als er jedoch zu Rekla aufsah, erkannte sie in seinen Augen Schuldgefühle, die ihre Wut noch steigerten. »Das haben wir alles nur dir zu verdanken«, zischte sie.
Ohne etwas zu erwidern, schaute er weiter zu ihr auf mit dem Blick eines Menschen, der eine Strafe erwartet und sich auch nichts anderes
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