Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
Die Wände zu beiden Seiten waren mindestens hundert Ellen hoch und ragten so dicht beieinander auf, dass zwei Personen nicht nebeneinander hindurchgepasst hätten. Manchmal musste sich Dubhe seitlich hindurchschieben, andere Male in düstere Gänge zwängen, ohne zu wissen, ob sie jemals wieder das Tageslicht sehen würde. Nur an den breitesten Stellen - und bloß zur Mittagszeit - konnte sie kurz die Sonne sehen. Den Rest des Tages über lag die Klamm in einem unwirklichen Dämmerlicht, in dem Dubhe kaum wusste, wohin sie die Füße setzen sollte.
Es dauerte keine zwei Tage, bis sie vollkommen die Orientierung verloren hatte. Der Weg durch die Schlucht verzweigte sich immer wieder, und die Höhlen, die sie durchquerte, verliefen niemals gerade, sondern waren voller Einschnitte und Biegungen. An den ersten Verzweigungen hatte sie noch verweilt, um sich zu orientieren und einzuprägen, wie es dort aussah. Aber das war schwierig. Am Boden nur glitschige Steine und ringsum Fels. Und Stille.
Dennoch drang sie weiter vor, verdrängte die Erschöpfung, vor allem der Beine, die sie bald nicht mehr tragen wollten. Wo sie jetzt auf eine Verzweigung stieß, entschied sie sich zufällig, instinktiv für eine Richtung, denn an etwaige Hinweise auf Idos Karte erinnerte sie sich nun überhaupt nicht mehr. Irgendwann wurde der Fels, an dem sie entlangstreifte, immer kälter und dunkler. Vielfach war er mit Moos bewachsen, ein Zeichen, dass im Winter wohl ein Wasserlauf durch die Schlucht schoss. Zudem war es unnatürlich still, und der einzige Laut neben ihrem schweren Atem entstand durch die Steine, die immer wieder aus der Wand brachen und in die Senke hinunterpolterten.
Dann kam sie auf die Idee, sich mit bestimmten Kräutern, die sie Rekla abgenommen hatte, sowie einem Feuereisen ganz einfache Fackeln zu basteln, um sich in den Höhlenabschnitten besser orientieren zu können. Dazu riss sie sich einen Stoffstreifen von ihrem Umhang ab, rollte ihn um einen ihrer Pfeile und zündete das Ganze an. Dabei überkam sie jedes Mal, wenn sie sich wieder in eine Höhle zwängte, das Gefühl, in den Bau der Gilde hinabzusteigen. Dann rührte sich die Bestie in ihrem Innern, und fast war ihr, als könne sie Thenaars Hand in ihrem Nacken spüren.
An einem Tag geschah es, dass die Höhle, die sie gerade durchquerte, viel länger war, als sie erwartet hatte, sodass sie einen vollen Tag unterirdisch weiterziehen musste. An einer Verzweigung entschied sie sich für einen Gang, der sich dann als Sackgasse entpuppte. Und während sie zurückhastete, fürchtete sie schon, den Hauptdurchgang nicht mehr zu finden, von dem sie abgebogen war. In diesem Loch sah aber auch alles so verdammt gleich aus ... Die Haupthalle der Höhle aber war voller prächtiger Kalkgebilde. Unzählige Stalaktiten hingen von der Decke, manche so breit wie Säulen, andere wie ein Pfeil so schmal. Einige berührten auch die Stalagmiten, die vom Boden aufragten, und diese ganze Wunderwelt glitzerte im Schein von Dubhes Fackel. Es war ein magischer Ort, der Klang des Wassers, das diese Gebilde formte, war klar und rein.
Zunächst verzaubert, dann immer ratloser, schaute Dubhe sich um. Es war kein Ausgang zu sehen. Vielleicht saß sie fest an diesem Ort ohne Tageslicht, ohne Pflanzen oder Tiere, von denen sie sich hätte ernähren können. Vielleicht musste sie dort bis in alle Ewigkeit umherstreifen, ohne einen Ausgang zu finden.
Das ist die Geschichte meines Lehens, die erfolglose Suche nach einem Ausweg, sagte sie sich, und aus irgendeinem Grund musste sie lachen, ein nervöses, verzweifeltes Lachen, das von einer Wand zur anderen hallte und vom Echo in ein Weinen ver wandelt wurde.
Lonerin, wo bist du Da riss ein dumpfes Beben sie aus diesen Gedanken. Sie lauschte. Was konnte das sein? Es hörte sich an wie ein düsteres, unterirdisches Brummen. Sie schaute hin und her und versuchte, etwas in der Finsternis außerhalb des Lichtkegels ihrer behelfsmäßigen Fackel zu erkennen. Nichts. Konnte es sein, dass Rekla sie bereits eingeholt hatte? Obwohl es sich nicht nach Schritten anhörte, geriet Dubhe in Panik und bewegte sich immer hektischer und tastete sich umständlich vorwärts ins Dunkel der Höhle hinein. Nicht lange, und sie bemerkte ein mattes Licht in der Ferne. Der Ausgang!
Sie begann zu laufen und spürte dabei, wie der Boden unter ihren Füßen vibrierte. Gelang es ihr, aus der Schlucht hinauszufinden, gab es doch noch Hoffnung, zu Sennar zu gelangen. Das
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