Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
Sonst bin ich diejenige, die den Blick abwendet, entweder aus Sorge davor, dass andere merken, wie ich ihn ansehe, oder weil es mir so schwerfällt, ihm fernzubleiben.
Er nimmt den Schwertriemen ab und legt ihn neben sich auf den Sitz. Ich bin nicht daran gewöhnt, Kyol so zu sehen, er wirkt unglaublich unsicher. Ich beobachte seine Edarratae . Wenn sie zu hektisch aussehen, werde ich dem Fahrer sagen, dass mir nicht gut ist, und ihn bitten, kurz anzuhalten. Doch Kyol scheint es gut zu gehen. Nur auf seiner Stirn zeichnet sich eine leichte Falte ab. Ob das daran liegt, dass er von der Technik Kopfschmerzen bekommt, oder weil er über etwas anderes nachdenkt, würde ich nur zu gern wissen. Vielleicht ist es auch beides. Die Stille lässt mich vermuten, dass er mit mir über etwas reden will.
Mein Magen zieht sich vor Nervosität zusammen. Ich glaube, Kyol will über uns reden. Jede Unterhaltung, die wir über unsere Beziehung geführt haben, hat auf dieselbe Weise geendet: indem er mir gesagt hat, dass wir nie zusammen sein können.
Er sieht mich wieder an, und auf einmal ist es mir sehr wichtig, dass wir diese Unterhaltung nicht führen.
»Ich bin wieder durch meine Prüfung gefallen«, sage ich schnell. »Ich weiß nicht, ob mein Professor mich wiederholen lässt. Wie soll ich ihm bloß erklären, dass ich einfach rausgelaufen bin?«
Er blinzelt. Ja, das Thema ist wirklich sehr unpersönlich.
»Das tut mir leid. Wir hatten keine Zeit und …« Er atmet aus, und seine Schultern sacken ein. »Letzten Endes hat es auch nichts gebracht. Ich war nicht schnell genug.« Er schüttelt den Kopf, und seine Stimme klingt frustriert. »Ich habe Vorkehrungen getroffen. Ich bringe dich immer durch zwei verschiedene Risse nach Hause, und nur wenige Fae kannten deinen ganzen Namen. Und diesen Fae habe ich vertraut. Wenn ich geahnt hätte, dass du in Gefahr schwebst, dann hätte ich dich nie aus den Augen gelassen. Ich hätte dafür gesorgt, dass du in Sicherheit bist.« Er ballt seine Hand um das Schwert, das neben ihm liegt. Jetzt sehen seine silbernen Augen überzeugt aus. »Ich kann dich beschützen, McKenzie.«
Ich habe Schmetterlinge im Bauch. Das ist gar nicht gut. Meine Entschlossenheit, mich zurückzuziehen, schwankt, wie sie es schon immer getan hat. Ich will ihn nicht verlassen. Niemals.
Er streckt eine Hand aus, aber ich tue so, als würde ich sie nicht sehen. Stattdessen rutsche ich über den Sitz zur Minibar, die sich in der hinteren Ecke der Limousine befindet.
»Ich habe Amys Junggesellinnenabschied verpasst«, sage ich und studiere die Etiketten der Flaschen. »Das ist eine Tradition der Menschen, im Grunde genommen eine Ausrede, um auszugehen und sich zu betrinken. Ich habe Paige versprochen, dass ich sie begleite.«
»McKenzie …«
»Aber ich glaube, sie hat mir verziehen«, fahre ich fort und weigere mich, ihn anzusehen. »Sie hat sich Sorgen gemacht, als ich nie zurückgerufen habe.«
Kyol setzt sich neben mich. Ich nehme eine kleine Flasche Wein, drehe sie auf und gieße mir ein Glas ein. Meine Hand zittert, zum Teil aufgrund der Bewegungen des Wagens, zum Teil sind aber auch meine Nerven schuld. Normalerweise kann ich mich besser zusammenreißen, behalte besser die Kontrolle, aber ich bin es leid … ich bin alles leid.
Kyol legt seine Hand auf das Glas, bevor ich es an die Lippen setzen kann.
»McKenzie.« Sein Edarratae zuckt über seine Haut. »Rede mit mir. Ich muss wissen, dass es dir gut geht.«
»Es geht mir gut.«
»Sieh mich an.« Er hebt mein Kinn hoch und zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen.
»Kyol.« Ich hole tief Luft. »Ich kann das nicht mehr. Ich will nicht, dass die Dinge so werden, wie sie waren, dass wir uns nur insgeheim berühren dürfen, wenn niemand hinsieht.« So will ich nicht leben. Nie mehr.
»Okay.«
»Ich weiß, dass Radath und der König … Was?«
Er streicht mit den Händen über meine Arme und hinterlässt eine Hitzespur darauf. »Diese letzten Wochen … Sie waren die schlimmsten meines Lebens. Jorreb hat einen Fae mit deinen Kleidern geschickt. Sie waren voller Blut und …« Er schluckt. »Ich dachte, du wärst tot. Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen, und ich hasste mich dafür, dass ich mich stets zurückgehalten habe, wenn wir zusammen waren. Ich habe mich an jedes einzelne Mal erinnert, bei dem ich Nein gesagt habe, und wollte nichts mehr als die Chance, einmal Ja sagen zu können. Jetzt habe ich die Gelegenheit dazu.« Seine Hände
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