Die Schattenmatrix - 20
erwiesenen Ehre bewusst. Sie stiegen in stiller Harmonie zusammen die Treppe hinauf, wobei sie auf Donals kürzere Beine Rücksicht nahmen, und betraten die Vorhalle, die in die Burg führte.
Drinnen herrschte praktisch ein Chaos, denn Lady Marilla und Dyan Ardais waren ebenfalls gerade erst eingetroffen, und der kleine Zwischenraum war voller Diener und Gepäck. Hinter ihnen wurde das Gepäck der Alars unter Murren und Rufen in die Burg getragen. Margaret, die sich plötzlich ihrer Verpflichtungen als Angehörige der darkovanischen Gesellschaft bewusst wurde, verließ die Seite ihres Vaters, um Lady Marilla Aillard und Dom Dyan zu begrüßen. Margaret freute sich aufrichtig, die beiden zu sehen. Auch die kleine Frau strahlte, als sie Margaret sah, hörte auf, die Diener umherzuscheuchen, die sich
durchaus selbst organisieren konnten, und umfing Margaret in einer duftenden Umarmung. »Neskaya scheint dir zu bekommen, Isty hat mir nur Gutes über deine Fortschritte berichtet.«
»Das höre ich aber gern, denn ich habe eher den Eindruck, dass ich für jeden Schritt nach vorne wieder zwei oder drei zurück gehe. Ihr seht gut aus. Wie kommt die Ausweitung Eurer Töpferei voran? Im Turm freuen sich alle sehr über das neue Geschirr, das Ihr uns geschickt habt. Wir benutzen es jeden Tag, und ich denke jedes Mal an Euch und jenes erste Mahl, das ich an Eurem Tisch eingenommen habe.« Sie wusste, dass sie aus Müdigkeit und vor Erleichterung über ihre Ankunft einfach drauflosplapperte.
Plötzlich nahm Margaret eine unangenehme Spannung im überfüllten Eingang wahr und versuchte, deren Ursache zu ergründen. Doch sie sah nur eine neue Phalanx von Dienern, die Lady Javannes eindrucksvollen Berg an Gepäck schleppten, und Piedro Alar, der sich mit wie immer gequälter Miene in Ariels Nähe herumdrückte. Ariel durchbohrte Margaret zur Abwechslung mal nicht mit Blicken, und Javanne war zu sehr damit beschäftigt, die Diener herumzukommandieren. Die Spannung musste ihrer Einbildung entspringen.
Die Schwangerschaft bekam Mikhails jüngster Schwester offensichtlich, denn auch wenn sie kurz vor der Niederkunft und bereits recht unbeweglich war, hatte sie eine gesunde Gesichtsfarbe und nicht allzu viel zugenommen. Selbst ihr sonst stumpfes Haar hatte einen seidigen Glanz. Sie sagte etwas zu Piedro, und die beiden begannen sich ihren Weg durch das Gedränge in Richtung der Treppe, die nach oben führte, zu bahnen. Das erschien Margaret sehr vernünftig, und sie beschloss, den beiden zu folgen.
Während sie auf die Treppe zuging, zog Margaret die Reithandschuhe aus und steckte sie in den Gürtel. Die blauen Seidenhandschuhe, die sie darunter trug, waren ein wenig schmutzig von der Reise, und sie rümpfte in hilfloser Abscheu die Nase. Dann löste sie die Klammer am Kragen ihres Umhangs und stieß einen erleichterten Seufzer aus.
Sie stieg um eine Truhe mit den aufgemalten Federn der Domäne Aillard herum und blickte ins Halbdunkel der Treppe hinauf. Einen Augenblick hatte Margaret den Eindruck, als würde sie in einen Spiegel schauen. Sie hatte ihre lebenslange Furcht vor spiegelndem Glas in den letzten Monaten zum großen Teil überwunden, doch immer noch fand sie den Anblick ihrer eigenen Züge ein wenig beunruhigend. Dann erkannte sie leicht erstaunt, dass sie dort oben im Halbdunkel der Treppe nicht in ihr eigenes Gesicht sah, sondern nur in eines, das ihrem sehr ähnelte.
Und hinter der Gestalt, die ihr so glich, entdeckte Margaret Mikhail Hastur, dessen attraktive Gesichtszüge von heftiger Wut entstellt wurden. Augenblicklich wusste sie, dass die Spannung, die sie vorhin gefühlt hatte, von ihm ausgegangen sein musste. Er versuchte offenbar sich aus dem Griff der Frau zu befreien, die seine Hand fest umschlungen hielt. Er wirkte, als wollte er einen Mord begehen. Die Miene der unbekannten Frau wirkte ebenfalls alles andere als freundlich. Margaret sank der Mut. Das entsprach ganz und gar nicht dem freudigen Wiedersehen, auf das sie sich schon den halben Tag gefreut hatte. Dann riss sie sich zusammen, um nur keine Gefühlsregung zu zeigen und um distanziert und abweisend zu bleiben, wie sie es ihr ganzes Leben lang getan hatte. Zum ersten Mal war sie beinahe froh, dass die Überschattung durch Ashara sie dazu erzogen hatte, Distanz zu wahren und ihre Gefühle nicht zu enthüllen.
Lew, der Margarets inneren Aufruhr trotz ihrer angestrengten Bemühungen wahrnahm, eilte zu ihr. Er war an ihrer Seite, gerade als Mikhail und die
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