Die Schattenmatrix - 20
war zu glücklich, endlich am Ziel zu sein, um sich über diese Verzögerung zu ärgern. Sie lehnte sich im Sattel zurück, streckte ihren Rücken und hob die Arme über den Kopf. Sie spürte, wie sich die einzelnen Wirbel bewegten und mit einem befriedigenden kleinen Schnalzen wieder an ihren Platz fanden. Als sie die Arme senkte, schlug etwas gegen ihre Schulter und warf sie fast aus dem Sattel. Als sie ihr Gleichgewicht wiedererlangt hatte, bemerkte sie einen festen Griff an der linken Schulter und wandte rasch den Kopf.
Sie sah sich roten Augen und einem Furcht erregenden Schnabel gegenüber, so nahe, dass sie sogar die feinen schwarzen Federn erkannte, die vom Schnabel bis zu dem wohlgeformten Kopf nach oben stiegen. Der Vogel krächzte leise, wie um ihr zu sagen, dass sie sich nicht zu fürchten brauchte, während Dorilys aufgeregt schnaubte und stampfte.
Margaret holte tief Atem und nahm einen öligen Fischgeruch in der frostigen Luft wahr, der eine Flut von Bildern in ihr wachrief, Bilder von den warmen Meeren auf Thetis und einem Wind, der nie kalt war. »Guten Tag, mein Hübscher«, sagte sie leise. Sie hatte auf Thetis schon oft solche Vögel gesehen, und sie hatte keine Angst vor ihnen, sondern war nur vorsichtig.
Das war also Miks Krähe. Hübscher Bursche. Er stieg von einer Klaue auf die andere und schlug sanft mit den Flügeln. Schließlich streckte Margaret den linken Arm aus, und der Vogel flitzte daran hinab, bis er auf ihrem Handgelenk saß.
Zunächst bewegte sich die Krähe nicht, doch dann berührte sie den Handschuh mit dem Schnabel. Sie pickte nicht, sondern bewegten den Schnabel in anmutigen Linien, wobei sie den Verlauf der Schattenmatrix nachfuhr, die unter dem Leder und der Seide verborgen war. Margaret hielt verblüfft den Atem an, während ihre Begleiter die Szene mit großer Neugier beobachteten. Offenbar befriedigt hob die Krähe den stolzen Kopf und stieß einen schrillen Schrei aus.
Genau in diesem Augenblick ging die Tür der Kutsche auf, und Lady Javanne Hastur stieg heraus. Sie bemerkte Margaret mit der Krähe auf dem Arm, und ihre Augen weiteten sich. »Was machst du denn da mit diesem Vogel?«, schrie sie beinahe. Dann eilte sie, ohne links und rechts zu schauen, über den Hof. »Sch, sch«, zischte sie im Näherkommen und fuchtelte auf lächerliche Weise mit den Armen. »Sei gegrüßt, Tante Javanne.« Margaret konnte ein Lachen kaum unterdrücken. Hinter sich bemerkte sie, dass Rafaella und die Männer in ernster Gefahr waren, auf der Stelle in Ungnade zu fallen, weil sie über Lady Javanne kicherten.
»Woher hast du denn dieses Tier?«
»Es ist soeben auf meiner Schulter gelandet, Tante Javanne. Und wenn ich mich nicht irre, ist es Mikhails Vogel. Es gibt keinen Grund, sich deswegen so … aufzuplustern.«
Das war zu viel für den jungen Remy. Er schlug die Hand vor den Mund und gab ein Geräusch von sich, das man durchaus für Husten halten konnte, wenn man nicht genau hinhörte. Die Krähe sah auf Lady Javanne hinab, gab einen seltsamen Laut von sich und hob dann mit einem großartigen Flügelschlag ab, dass das Weiß ihrer Flügelränder im Fackelschein des Hofes aufblitzte.
»Ich hätte es mir denken können«, murmelte Javanne düster. Dann drehte sie sich um und ging zur Kutsche zurück, ohne ihre Nichte wirklich zu begrüßen. Piedro Alar half gerade Ariel aus dem Gefährt, und Margaret hörte nun auch die Stimmen der Kinder, die es kaum erwarten konnten, der Enge zu entfliehen. Ein Kindermädchen, das Kennard und den kleinen Lewis im Arm hielt, mühte sich die Trittleiter der Kutsche hinab, und hinter ihr kletterten Donal und Damon Alar heraus.
»Marguerida!« Donal, kaum zu bändigen wie immer, trabte auf sie zu, und sein junges Gesicht strahlte vor Freude. Das dunkle Haar, das ihn von seinen Brüdern unterschied, war ihm in die Stirn gefallen, und Margaret dachte, dass er mal wieder einen Haarschnitt vertragen könnte.
Margaret stieg ruhig ab. Sie stampfte mit den Beinen auf, in denen das Blut nicht mehr zu zirkulieren schien und die von oben bis unten kribbelten. Dann war Donal bei ihr, und sie beugte sich zu ihm hinab. Sie spürte den typischen Geruch eines kleinen Jungen, ein warmer, schwerer Duft nach Jugend
und Lebenskraft. Margaret erwiderte die Umarmung, dann hielt sie Donal ein Stück von sich weg. »Ich glaube, du bist diesen Sommer ein paar Zentimeter gewachsen. Hast du Stangenbohnen gegessen?« »Von denen habe ich noch nie gehört, aber ich würde sie
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