Die Schattenmatrix - 20
wollte sie nicht.
»Du schlägst doch nicht ernsthaft vor, dass wir mitten in der Nacht in unserer Tanzkleidung nach Hali stürzen, oder?« Mikhails Zorn war nicht mehr zu überhören, aber Margaret wusste, dass sich dahinter große Angst verbarg. Sie versuchte ihn zu verstehen. Furcht schien angebracht, aber Wut? Dann fiel ihr plötzlich ein, dass die Ereignisse in Haus Halyn jetzt in seinem Kopf widerhallen mussten und mit ihnen all die Machtlosigkeit, die er dort empfunden hatte. Leider blieb Margaret keine Zeit für Erklärungen - sie mussten um jeden Preis in Bewegung bleiben. »Nein. Wir müssen uns umziehen, dann treffen wir uns umgehend in den Ställen.«
»Aber!«
»Geh weiter und hör endlich auf, mit mir zu streiten! Ich hatte wieder eine Vision!« Sie rannte eine Treppe hinab, so schnell es ihre Röcke erlaubten, und hörte seine Schritte dicht hinter ihr. »Was hast du gesehen?« Er stieß sie beinahe um, sie spürte seinen Atem im Haar.
»Später, du Idiot!«
»Ja … also gut.« Sie eilten eine weitere Treppe hinab, außer Hörweite des Ballsaals.
Schließlich erreichten sie den Korridor, der zur Alton-Suite auf der einen Seite und zur Lanart-Suite auf der anderen führte, und trennten sich. Margaret sah Mikhail kurz nach, wie er zu seinen Gemächern eilte, dann öffnete sie hastig die Tür zu ihren eigenen. Sie keuchte vor Anstrengung, ihre Stirn war feucht, und in ihrem Kopf hämmerte es unaufhörlich. Sie war allein in der Suite, deshalb musste sie sich ihrer Gewänder ohne Hilfe entledigen. In ihrer Hast zerriss sie den feinen Stoff. Sie lauschte angestrengt auf Verfolger. Bestimmt würde bald jemand kommen. Ihre Finger rissen unbeholfen an den Verschlüssen. »Ich mach, so schnell ich kann«, antwortete sie der dröhnenden Stimme in ihrem Kopf.
Hektisch zog sie eine dicke Strumpfhose, ihre Reitkleidung und die abgenutzten Stiefel an. Dann hielt sie kurz inne und überlegte, was sie sonst noch mitnehmen sollte. Ein Messer schien eine gute Idee zu sein, dazu der Beutel mit dem Feuerstein. Sie riss ihren Umhang aus dem Schrank und stürzte auf den Gang.
Mikhail kam ebenfalls gerade aus seinem Zimmer, er trug einen schlichten braunen Überrock und eine Hose und hielt einen grünen Umhang über dem Arm. Er wirkte angespannt, als wäre seine gesamte Aufmerksamkeit auf einen einzigen Punkt konzentriert. Es war ein schmerzlicher Anblick, und
Margaret war froh, dass sie keine Empathin war, vermutlich waren seine Gefühle genauso verworren wie ihre eigenen. Mikhail war kein Mensch, der sich zu etwas zwingen ließ, entschied sie, und fragte sich, wie Regis ihn jemals für einen halten konnte. »Was immer uns vorwärts treibt, hält anscheinend die anderen davon ab, uns zu folgen«, murmelte Mikhail undeutlich. »Komm - sie werden nicht ewig stillhalten.«
Sie stürmten die Treppe zum Stallhof hinab, rempelten sich in ihrer Eile gegenseitig an und wären mindestens zweimal beinahe gestürzt. Als sie unten auf dem Pflaster waren, schnappten sie nach Luft. In diesem Augenblick stolperte Margaret und schauderte von Kopf bis Fuß. »Was ist?«, fragte Mikhail.
»Ich glaube, Ariels Wehen haben gerade eingesetzt«, antwortete Margaret, und ihr Herz schlug schneller.
»Aber der Termin ist doch erst in zehn Tagen, oder?«
»Ich weiß. Ariel ist vielleicht noch nicht so weit, aber das Baby sieht das anders. Und sei froh, das wird die anderen von unserer Flucht ablenken!« Männer konnten manchmal wirklich dumm sein, dachte sie, selbst Mikhail. »Ich sagte doch, dass das Kind zu Mittwinter geboren wird!«
»Ja, und ich werde nie wieder an dir zweifeln. Komm jetzt!« In den Ställen hielt sich nur ein verschlafener Bursche auf, der die beiden dümmlich ansah, als sie ihre Pferde holten. Es stand ihm nicht zu, Mitgliedern der Domänen Fragen zu stellen. Mik brachte die Sättel, und Margaret machte sich inzwischen mit dem Zaumzeug zu schaffen. Es kostete sie ihre ganze Willenskraft, nicht aus dem Stall und die kalte Straße entlangzurennen, hinaus aus der Stadt. Nach einer halben Ewigkeit, wie es Margaret schien, waren sie bereit zum Aufbruch.
Als sich Margaret in den Sattel schwang, tänzelte Dorilys nervös und warf sie beinahe ab. Sie hörte, wie Stürmer in die
Nacht wieherte. Dann ritten sie los, auf den Eingang des Stallhofes zu.
Sie bemerkten einen Luftstrom und ein Flügelschlagen, und Margaret sah aus den Augenwinkeln, wie sich Mikhails Krähe heiser krächzend auf seiner Schulter niederließ, bevor sie mit einem
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