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Die Schattenmatrix - 20

Die Schattenmatrix - 20

Titel: Die Schattenmatrix - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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würde die Übung es so erfordern. Völlig in ihr Spiel versunken nahm sie dennoch wahr, dass sie eins der Themen soeben auf eine bisher nie da gewesene Art auf den Kopf gestellt hatte. Genauso hatten sie im Haus von Ivor und Ida Davidson an den Abenden immer gespielt. Die beiden lie
ßen immer einige Studenten in dem großen Haus gleich hinter der Musikschule wohnen. Sie dachte nicht oft an das Haus, denn damit war die Erinnerung an die Schlafsäle verbunden, wo sie ihr ziemlich unglückliches erstes Jahr an der Universität verbracht hatte. Das war, noch bevor Ivor sie in der Bibliothek singen hörte und ihr half, ihrem Leben einen Sinn und eine Richtung zu geben.
Beim Spielen schweiften Margarets Gedanken zu Ivors Begräbnis in Thendara ab. Viele Mitglieder der Musikergilde, die ihn zum Großteil nie kennen gelernt hatten, begleiteten damals seinen Sarg zum Friedhof und sangen ihre Lieder. Margaret hatte an jenem Tag ebenfalls gesungen, aber heute schien ihre Stimme versiegt zu sein, als ließe sich ihre Trauer nicht in Laute fassen. Ivor war alt gewesen und Domenic jung. Das war der Unterschied.
Ihre Finger glitt über die Saiten, und wie von allein ertönte das Klagelied, das sie damals für Ivor gesungen hatte. Es war ein großartiges Musikstück: achtundzwanzigstes Jahrhundert, Centauri. Ein trauriges Stück, aber mit einer Ahnung von Hoffnung, die Margarets Schmerz ein wenig linderte.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, hörte Margaret auf, das Klagelied zu spielen, und zupfte eine andere Melodie. Nach einigen Minuten bemerkte sie, dass sie das Stück gar nicht kannte, dass sie es beim Spielen erfand, während sie an den kleinen Jungen dachte, der zu früh aus dem Leben gerissen worden war, und an all die Dinge, die er nie erfahren würde. Es war ein überzeugendes Stück, ein Lied, das sie bewegte noch während sie es erschuf. Und es stammte von ihr, war nicht von jemand anderem geliehen! Ihr jahrelang geschulter Verstand verfolgte die Komposition kritisch und befand sie für gut. Margaret schuf nur selten eigene Stücke, und sie gestattete sich, ausnahmsweise kritiklos, ihre Freude an der Musik, die aus ihren Fingern floss. Das Lied erzählte vom Ge
rausch des Flusses, an dem sie vor ein paar Stunden entlanggeritten war, von den Binsen, die in der Brise wogten, vom Rufen eines Singvogels, den sie gehört hatte, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Margaret war so vertieft in die Musik, dass sie nicht hörte, wie die Haustür aufging, und sie bemerkte den Besucher erst, als sie zu spielen aufhörte und ein leises Räuspern hinter sich vernahm. Sie drehte sich abrupt um und sah Lew Alton im Eingang zum Wohnzimmer stehen. Er trug eine ziemlich abgewetzte Reituniform und hatte einen leichten Mantel über den Arm gehängt. Sein Silberhaar war zerzaust.
»Vater! Wie lange stehst du denn schon hier?« Sie forschte in seinem Gesicht und war plötzlich wieder angespannt; sie versuchte, seine Stimmung zu lesen, wie sie es als Kind immer getan hatte. Dann fiel ihr ein, dass dazu kein Anlass mehr bestand, da dieser Lew Alton ein völlig anderer Mensch war als damals. Er trank sich nicht mehr um den Verstand und wütete auch nicht mehr wie ein Tier. Aber Gewohnheiten streift man nicht einfach ab, und es fiel ihr schwer, diesem Mann, den sie eben erst kennen lernte, völlig zu trauen.
»Keine Ahnung. Ich war so verzaubert von deiner Musik, dass ich jegliches Zeitgefühl verloren habe. Was war das?« Lew lächelte zaghaft, und seine Augen leuchteten vor Interesse.
»Ich weiß es nicht - ich habe es gerade erfunden.«
»Hoffentlich vergisst du es nicht wieder, es war hervorragend.« »Bestimmt nicht. Ich habe es beim Spielen gleich in Partitur gesetzt.«
»Das klingt so unglaublich einfach, wenn du es sagst.« Lew legte seinen Mantel ab. »Ich bin jedes Mal aufs Neue beeindruckt, dass du dir all diese Musik merken kannst, aber du hast mir nie erzählt, dass du auch komponierst.« Er setzte sich
ihr gegenüber und forschte in ihrem noch immer tränennassen Gesicht.
»Ich komponiere nicht viel. Nicht wie Jheffy Chang oder Amethyst.« »Wer?«
»Bekannte von der Universität. Jheffy hat die ganze Zeit über komponiert, er und Amethyst unterhielten eine Art Dauerwettstreit, als ich noch bei Ivor wohnte. Es war verrückt, weil sie es selbst überhaupt nicht bemerkten. Musik, neue Musik, schien einfach ständig aus ihnen herauszufließen. Ich habe diese Fähigkeit nie besessen, und das war auch gut so, denn sonst wäre ich niemals Ivors

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