Die Schattenplage
geweigert, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Am Ende hatte Tanu ihnen einen Tee verabreicht, der sie leicht beeinflussbar machte, und Opa hatte es mit Hilfe eines falschen Gipsverbandes geschafft, dass die Kinder einen weiteren Monat bleiben durften. Doch wieder einmal war ihre Zeit beinahe vorüber.
»Tanu kommt zurück«, rief Seth ihnen ins Gedächtnis. »Vielleicht kann er Dad noch mehr von diesem Tee einflößen.«
»Wir müssen auf Dauer eine tragfähige Lösung finden«, meinte Oma. »Die gegenwärtigen Bedrohungen könnten sich über Jahre hinziehen. Vielleicht hat die Gesellschaft des Abendsterns jetzt, da sich das Artefakt nicht mehr in Fabelheim befindet, das Interesse an euch verloren. Aber mein Instinkt sagt mir etwas anderes.«
»Genau wie meiner«, stimmte Opa zu und bedachte Kendra mit einem vielsagenden Blick.
»Können wir Mom und Dad nicht zwingen, die Illusion zu durchschauen, die die Geschöpfe hier verbirgt?«, fragte Kendra. »Wir geben ihnen einfach Milch und führen sie zu den Elfen? Und in die Scheune, damit sie Viola sehen?«
Opa schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher. Absolute Ungläubigkeit ist ein mächtiges Hemmnis. Sie kann eine Person vollkommen blind machen für die offenkundige Wahrheit, ganz gleich, was andere tun oder sagen.«
»Die Milch würde bei ihnen nicht wirken?«, fragte Seth.
»Vielleicht nicht«, antwortete Opa. »Das ist einer der Gründe, warum ich Leute die Geheimnisse von Fabelheim entdecken lasse, indem ich lediglich Hinweise ausstreue. Erstens lässt es ihnen die Wahl, ob sie die Wahrheit über das Reservat wissen wollen oder nicht. Und zweitens kann so die Neugier ihre Ungläubigkeit überlagern. Es braucht nicht viel Glauben, damit die Milch wirkt, aber absolute Ungläubigkeit kann schwer zu überwinden sein.«
»Und du denkst, Mom und Dad glauben nicht daran?«, fragte Kendra.
»Was die Möglichkeit betrifft, dass es tatsächlich mystische Kreaturen geben könnte, scheinen sie nicht den geringsten Glauben zu haben«, erwiderte Opa. »Ich habe für sie viel offensichtlichere Hinweise ausgelegt, als ich dir und Seth gegeben habe.«
»Ich habe sogar ein Gespräch mit ihnen geführt, in dem ich ihnen beinahe die Wahrheit über Fabelheim und meine Rolle hier gesagt hätte«, warf Oma ein. »Doch als ich sah, dass sie mich anstarrten, als gehöre ich in eine Irrenanstalt, habe ich aufgehört.«
»In gewisser Weise ist ihre Ungläubigkeit gut für ihre Sicherheit«, warf Opa ein. »Sie kann ein Schutz gegen den Einfluss dunkler Magie sein.«
Seth zog die Augenbrauen zusammen. »Willst du damit andeuten, dass magische Kreaturen nur dann existieren, wenn man an sie glaubt?«
Opa tupfte sich mit einer Serviette die Lippen ab. »Nein. Sie existieren unabhängig von dem, was wir glauben. Aber für gewöhnlich ist ein gewisser Glaube vonnöten, damit wir mit ihnen in Verbindung treten können. Darüber hinaus missbilligen die meisten magischen Geschöpfe Ungläubigkeit so sehr, dass sie sich von ihr fernhalten, genauso wie ihr oder ich einem unangenehmen Geruch ausweichen würden. Ungläubigkeit ist Teil des Grundes, warum viele Geschöpfe sich dafür entschieden haben, in die Reservate zu fliehen.«
»Wäre es für irgendeinen von uns möglich, aufzuhören an magische Geschöpfe zu glauben?«, überlegte Kendra laut.
»Spar dir die Mühe«, schnaubte Coulter. »Niemand könnte das mit mehr Nachdruck versuchen, als ich es getan habe. Die meisten von uns machen einfach das Beste daraus.«
»Es wird ziemlich schwer, zu zweifeln, sobald man mit ihnen Kontakt hatte«, pflichtete Dale Coulter bei. »Glauben verhärtet sich zu Wissen.«
»Es gibt Leute, die von diesen Wesen erfahren und dann vor ihnen fliehen«, sagte Oma. »Sie meiden die Reservate und Substanzen wie Violas Milch, die ihnen die Augen öffnen könnten. Indem sie allem Magischen den Rücken kehren, lassen sie ihr Wissen schlafen.«
»Klingt für mich nach gesundem Menschenverstand«, murmelte Coulter.
»Eure anderen Großeltern, Oma und Opa Larsen, haben sich vorzeitig aus unserer Geheimgesellschaft zurückgezogen«, erklärte Opa.
»Oma und Opa Larsen wussten über magische Geschöpfe Bescheid?!«, rief Seth aus.
»Sie wussten so viel wie wir oder mehr«, sagte Oma. »Sie haben ihr Engagement etwa zur Zeit von Seths Geburt beendet. Wir alle haben so große Hoffnungen auf eure Eltern gesetzt. Wir haben sie miteinander bekannt gemacht und sie im Stillen zur Hochzeit ermutigt.
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