Die Schattenplage
Treppe hinaufeilen. Gavin erreichte sie, steckte einen goldenen Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. »Beeilt euch!«, sagte er.
Sie traten durch die Tür in den dahinterliegenden Korridor, dessen Wände aus Steinquadern bestanden. Gavin schloss die Tür wieder ab und eilte hinter den anderen her. Der Boden war gefliest. Lichtsteine in Haltern an den Wänden beleuchteten den Gang.
»Du hast wie ein Drache gesprochen«, bemerkte Dougan staunend.
»Begreifen Sie allmählich, warum Dad meine Existenz geheim halten musste?«, fragte Gavin.
Dougan war immer noch verwundert. »Mir war klar, dass du ein Drachenzähmer bist, ein Naturtalent, aber dies …«
»Wenn Ihnen auch nur das Geringste an mir liegt, erzählen Sie bitte niemals, was Sie gehört haben.«
»Es tut mir leid, dass ich den Drachen angesehen habe«, sagte Kendra.
»N-N-N-Nicht der Rede wert«, erwiderte Gavin. »Wie hast du es geschafft zu antworten?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Kendra. »Ich konnte mich nicht bewegen, aber mein Geist war klar. Ich habe mich daran erinnert, dass Drachenzähmer mit Drachen sprechen, also habe ich es versucht, nachdem ich ihren Blick aufgefangen hatte. Jeder andere Teil von mir war erstarrt, aber mein Mund hat immer noch funktioniert.«
»Für gewöhnlich wird der Geist zusammen mit dem Körper gelähmt«, meinte Gavin. »Du hast tatsächlich Potential als Drachenzähmerin.«
»Wie warst du in der Lage, ihr in die Augen zu sehen?«, fragte Warren. »Ich habe es immer so verstanden, dass Drachenzähmer Blickkontakt meiden.«
»S-Sie haben ebenfalls hingeschaut?«, fragte Gavin entsetzt.
»Nur genug, dass ich dich sehen konnte.«
»Ich habe Chalize herausgefordert. Sie sollte versuchen, meinen Willen zu brechen, ohne mich zu berühren«, erklärte Gavin. »Unsere Vereinbarung war, dass sie uns ungehindert hinein- und wieder herauslässt, wenn sie scheitert.«
»Was hat dich auf den Gedanken gebracht, dass du Erfolg haben könntest?!«, rief Dougan aus.
»Ich war schon immer immun gegen Drachenzauber«, antwortete Gavin. »Irgendeine angeborene Eigenschaft sorgt dafür, dass ihr Blick mich nicht bannt. Sie hätte mich mit einem Zucken ihres Schwanzes enthaupten können, aber sie ist jung und hat lange Zeit in Einsamkeit gelebt, also hat sie die Herausforderung genossen. Sie hat bestimmt geglaubt, dass sie unmöglich verlieren könnte.«
»Nach dem, was ich aus den Augenwinkeln gesehen habe, wirkte sie in der Tat ziemlich klein«, meinte Dougan.
»S-S-S-Sehr mysteriös«, bestätigte Gavin. »Chalize ist ein Welpe, und der größte Teil ihres Wachstums liegt noch vor ihr. Sie kann nicht viel älter als hundert Jahre sein. Doch dieses Gewölbe gibt es mindestens seit zehn Mal so vielen Jahren. Die Höhle, in der sie lebt, war übersät von Klauenspuren von einem viel größeren, älteren Drachen.«
»Ist mir aufgefallen«, sagte Warren. »Also, wo war der Vater oder die Mutter?«
»Ich habe sie gefragt, wie sie hierher gekommen ist«, erwiderte Gavin, »aber sie weigerte sich zu antworten. Irgendetwas an der ganzen Situation kommt mir komisch vor. Aber zumindest hat sie mir wie versprochen den Schlüssel ausgehändigt.«
»Ihre Jugend erklärt, warum sie die anderen so schnell angegriffen hat«, meldete Dougan sich wieder zu Wort.
»Richtig«, stimmte Gavin ihm zu. »Normalerweise ziehen Drachen es vor, mit ihrem Essen zu spielen. Die Jungen sind impulsiver.«
»Haben alle Drachen so viel Metall am Körper wie sie?«, wollte Kendra wissen. »Sie sah beinahe aus wie ein Roboter.«
»Jeder Drache ist einzigartig«, erklärte Gavin. »Ich habe schon andere mit Metallschuppen gesehen, aber so was wie Chalize ist mir noch nie untergekommen. Ihr ganzer Körper ist von einer Kupferlegierung umhüllt. Man kann es sogar in ihrer Stimme hören.«
Dougan legte Gavin einen Arm um die Schulter. »Ich nehme an, es versteht sich von selbst, aber trotzdem – du hast deine Sache sehr, sehr gut gemacht. Du bist unglaublich.«
»D-D-Danke«, murmelte Gavin und senkte schüchtern den Blick.
Unter Warrens Führung, der den Boden mit seinem zerbrochenen Speer abtastete, gingen sie den Gang entlang. Er warnte sie, die Wände ja nicht zu berühren und nach Stolperdrähten Ausschau zu halten. Jetzt, da sie weiter vorgedrungen waren, als Tammy auf ihrem Erkundungszug gekommen war, konnten überall neue Gefahren lauern.
Der Tunnel endete an einer Bronzetür. Dahinter erwartete sie eine Wendeltreppe, die nach unten
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