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Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Titel: Die Schattenseherin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Hunter
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pergamentartige Haut zum Vorschein, die sich über spröden Knochen spannte. Die Augen waren trüb.
    »Ich hoffe, mein Erscheinen bereitet euch beiden mehr Freude als deinem Vampirfreund.«
    Cale blieb noch immer der Mund offen stehen. Was an Pest hatte ihn derart erschreckt, dass er einfach so aus dem Fenster flüchtete?
    »Darf ich hereinkommen?«, fragte Pest und holte Cale damit aus seinem verwirrten Zustand. Er trat stumm einen Schritt zurück und gab damit die Tür frei, um Pest eintreten zu lassen. Der ging zielstrebig auf den Küchentisch zu und sah sich nur flüchtig um. Schal und Hut legte er auf die raue Tischplatte. Es staubte ein wenig.
    »Setz dich«, sagte er und tat es selbst. Cale setzte sich ihm gegenüber und musterte den Unparteiischen.
    »Ist es schon so weit?«
    Pest schmunzelte, und Cale hätte schwören können, dass er die Muskeln um Pests Mundwinkel herum knirschen hörte. Er griff mit seinen dünnen Fingern in die Tasche seines Mantels und zog an einer dünnen Kette einen dunklen Stein heraus. Er war flach und oval. Die Oberfläche des Steins wölbte sich seltsam und schien jedes Quäntchen Licht einfach zu verschlucken. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte Cale gedacht, dass Pest es irgendwie geschafft hatte, ein Stück Schatten in ein Medaillon zu pressen.
    Er nahm es entgegen und betrachtete den Stein. »Das ist es?«, fragte er behutsam. »Das soll mir helfen, Engel in der Stadt zu finden?«
    »Es ist das Gegenteil dessen, was die Hölle ausmacht. Das heißt, es sollte auf unsere geflügelten Freunde reagieren.«
    »Und was ist es?«, traute Cale sich nachzufragen.
    Pest wischte mit der Hand durch die Luft. »Das braucht dich nicht zu interessieren. Kommen wir lieber zum Wesentlichen – zu meiner Bezahlung.«
    Cale spürte, wie sein Mund trocken wurde. »Ich dachte, ich schulde dir einen Gefallen.«
    »Den ich an dieser Stelle einzulösen gedenke. Wie du siehst, hat mich die Herstellung, sagen wir, ein wenig mitgenommen. Meine äußere Erscheinung hat bei dieser Anstrengung gelitten, und ich brauche Hilfe, um sie wieder herzurichten.«
    Cales Kehle war wie ausgetrocknet. »Und wie soll diese Hilfe aussehen?«
    Pest lachte. Die Zähne in seinem weit aufgerissenen Mund waren nunmehr nur noch braune Stummel. »Ein paar Erinnerungen.«
    Cale runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
    »Ich brauche deine Erinnerungen an dein menschliches Leben.«
    »Nein!« Cale schüttelte heftig den Kopf. »Das kannst du nicht verlangen.«
    »Ich kann verlangen, was ich will, mein Junge. Du hast eingewilligt, und demnach steht es mir frei, von dir zu nehmen, was immer mir vorschwebt.«
    Cale sah fassungslos in das ausgemergelte Gesicht des apokalyptischen Reiters. Er war nun über hundert Jahre kein Mensch mehr. Caes hatte ihn verändert, an dem Tag, an dem er ihm erlaubt hatte, sich in ihm einzunisten. Es gab kaum noch etwas, was Cale mit seinem alten Leben verband. Bis auf seine Erinnerungen an die Zeit, als er anders gewesen war. Menschlich. Als er glücklich gewesen war, ein verheirateter Mann, der noch eine Zukunft gehabt hatte, und kein höllisches Monster, das jede Nacht Frauen für sich benutzte. Seine Erinnerungen an Eloise.
    › Du musst ihm nicht alles geben‹ , mischte Caes sich ein. › Du weißt, wir brauchen dieses Amulett, aber brauchst du wirklich deine Erinnerungen an die mühsamen Jahre im Hochland? An den Schweiß, die Tränen, das Blut? Die Erniedrigungen? Alles, woran du dich klammerst, ist deine kostbare Eloise. Behalte sie und gib ihm den Rest.‹
    Cale ließ den Kopf sinken. »Ich kann nicht«, flüsterte er. Pest sah ihn an. »Caes hat recht. Du brauchst dieses Amulett, und ich brauche deine Erinnerungen. Ich wäre sogar bereit, dir deine Erinnerungen an Eloise zu lassen, aber gib mir alles andere.« Die Stimme war dünn, brüchig, aber doch drängend.
    Cale sah auf. Sein Blick fiel auf das Amulett. «Also gut«, sagte er schließlich. Pest lächelte, und bevor Cale reagieren konnte, hatte er seine Hand auf das Gesicht des Inkubus gepresst.
    Zoe blies in ihren Milchkaffee und beobachtete die Kreise, die sich auf der hellen Flüssigkeit bildeten. Sie wärmte ihre Hände an der Tasse, obwohl es im Café an der Ecke nie wirklich kalt war. Das Lokal war so winzig wie beliebt, sodass die Menge an Besuchern ganz allein für eine wohlige Wärme sorgte. Die dicht gedrängten Menschen an der Theke und die kleinen Gruppen von Besuchern an den Tischen redeten, lachten, flüsterten

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