Die Schattenträumerin
nicht zu übergeben. Breite Strähnen ihres Haares klebten an ihrer schweißnassen Stirn.
»Madelina hat es nicht verdient, dass du eure Liebe in diesem bösartigen Rachefeldzug enden lässt.« Übelkeit und Angst ließen ihre Stimme dünn und gepresst klingen. »Cecilia, meine Tante, war im gleichen Alter wie deine Madelina. Sie war jung und schön und hatte ihr ganzes Leben noch vor sich. Doch wegen des Fluches, der als erstgeborene Medici auf ihr lastete, hat sie sich in ihrer Verzweiflung das Leben genommen. Meinst du, das hätte Madelina gewollt?«
Erneut schüttelte Alessandro stumm den Kopf.
»Dann sag mir: Wie kann ich den Fluch lösen? Bitte, sag es mir!«, flehte sie. Alessandro schien sichtlich mit sich zu kämpfen.
Der Jenseitige tauchte so unvermittelt vor Francesca auf, dass ihr Schrei einem erstickten Quieken glich. Durch die grellen Lichtblitze konnte sie seine Gestalt immer nur für den Bruchteil einer Sekunde ausmachen. Sein haarloser Körper war von einem leblosen, öligen Weiß und seine Augen, die komplett mit einem matten Schwarz ausgefüllt waren, fixierten Francesca ununterbrochen. Gier, aber auch Zorn lag in ihnen. Francesca konnte sich denken, weshalb: Sie war den Stimmen des Necronomicons nicht erlegen – und nun benutzte sie die Macht des Buches auch noch nach ihrem Willen und für ihre eigenen Zwecke! Dies war von den Jenseitigen anders geplant: Um sich des Necronomicons bedienen zu dürfen, hätte sie ihr Sklave sein müssen. Der Jenseitige riss wütend sein Maul auf und von mehreren Reihen messerspitzer Zähne tropften lange Speichelfäden herab.
»Was ist los? Du siehst plötzlich so ängstlich aus.« Alessandro war mit gerunzelter Stirn an den Rand seines Pentagramms getreten und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. »Ist das ein Jenseitiger, der bei dir steht?«
»Ja, er muss mit dem Nebel des Necronomicons hergekommen sein.«
Wie ein Raubtier umschlich der Jenseitige das Pentagramm. Francesca fühlte sich wie eine hilflose Beute, die in der Falle saß.
»Das ist normal«, versuchte Alessandro sie zu beruhigen. »Du hast durch die Beschwörung das Portal geöffnet. Doch es kann nur derjenige von ihnen in unserer Welt verbleiben,der als Fluchdämon beschworen worden ist. Die anderen verschwinden wieder, sobald die Beschwörung beendet ist. Sie sehen zwar erschreckend aus, aber sie tun dir nichts – schließlich hast du dich für die Beschwörung mit dem Necronomicon verbunden und sie brauchen dich noch.«
Das hatte sie eben nicht! Doch Francesca hatte nicht die Zeit, Alessandro von Knüttelsiels Spiegelpentagramm zu erzählen. »Dieser Jenseitige wird mich garantiert angreifen, wenn es ihm möglich ist!«
Sie senkte den Blick, da sie es nicht länger ertragen konnte, den Jenseitigen um sich herumschleichen zu sehen. Doch was sie nun sah, beschleunigte ihren Herzschlag nur noch mehr. Als sie nach ihrem Kampf mit der Nebelsäule auf den Boden gefallen war, hatte sie anscheinend eine Spitze des Schutzpentagramms verwischt. Wenn dies der Jenseitige ebenfalls bemerkte, konnte er an dieser Stelle ungehindert eindringen und Francesca hatte ihm nichts mehr entgegenzusetzen. Sie riss ängstlich den Kopf hoch. Der Jenseitige war mit einem grässlich verzerrten Grinsen stehen geblieben.
»Menschenkind«, lechzte er gierig. Es war dieselbe Stimme, die sich aus dem Chor der Jenseitigen gelöst und allein zu Francesca gesprochen hatte.
Eisiges Grauen erfasste sie. Ihr wurde klar, dass auch er die offene Spitze des Pentagramms bemerkt hatte. Sie war verloren.
»Er kommt in mein Pentagramm«, japste sie. »Der Jenseitige wird mich töten. Alessandro, was soll ich tun?«
Alessandro versuchte erneut, dieses Mal verzweifelter unddrängender, sein eigenes Pentagramm zu verlassen, doch er scheiterte immer wieder.
Der Jenseitige trat in die offene Spitze des Pentagramms.
»Geh weg von mir!«, sagte Francesca mit allem Mut, den sie aufbringen konnte. »Bleib weg von mir!«
»Wenn ich dir nur helfen könnte«, rief Alessandro panisch und rang die Hände. Seine Hilflosigkeit schien ihn fast um den Verstand zu bringen. »Jetzt habe ich sogar dich in Gefahr gebracht, meine letzte Nachfahrin – ein kleines Mädchen, die letzte Medici. Das tut mir alles so leid! Wenn ich nur etwas tun könnte …« Alessandro schien zum ersten Mal wirklich klargeworden zu sein, was er mit seinem Fluch angerichtet hatte.
Für einen winzigen Moment ließ Francesca den Jenseitigen aus den
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