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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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hinterlassen konnte, doch nun wusste sie es. Dieses Wesen war der Einbrecher gewesen! Und jetzt war es hinter ihr her. Eine irrsinnige Angst ergriff plötzlich von ihrBesitz, die ihr fast den Verstand raubte. Sie begann, am ganzen Leib zu zittern.
    Noch drei Schritte.
    Alles in ihr schrie danach, wegzurennen. Weg, nur weg von diesem … Monster? Dämon? Lebendig gewordenen Fluch?
    Nein, sie musste an Gianna denken! Sie hatten einen Plan und an den musste sie sich halten.
    Sie hörte seinen rasselnden Atem. Ein leichter Geruch von Fäulnis wehte zu ihr herüber.
    Noch zwei Schritte.
    » Auf die Plätze, fertig …!«, murmelte Francesca mit zittriger Stimme.
    Das Wesen streckte seine Krallenhand aus, ein Laut des Triumphs entwich ihm.
    »LOS!«, schrie sie so laut, dass Gianna sie hören konnte.
    Für einen Moment hielt das Wesen irritiert inne. Überraschung leuchtete in den schwarzen Augen auf.
    Francesca nutzte sein Zögern. Sie drehte sich ruckartig um und rannte um ihr Leben. Ihre Füße hämmerten über die feuchten Pflastersteine, ihre Schritte hallten vielfach von den Wänden wider. Die Angst trieb sie voran, schneller, weiter. Im Laufen warf sie einen kurzen Blick über die Schulter. Mit einer Mischung aus Panik und Erleichterung sah sie, dass ihr das Wesen tatsächlich folgte. Obwohl es immer noch nicht rannte und Francesca ohne Gianna nun so viel schneller vorankam, war es ihr dicht auf den Fersen.
    Sie sauste über Brücken und kleine Campi hinweg, bog so eng wie möglich um die rechtwinkligen Kurven, beschleunigtein Durchgängen und lang gezogenen Gassen. Schon bald hatte sie die Orientierung verloren. Lief sie in Richtung des Palazzos oder von ihm weg? War sie überhaupt noch im Stadtteil Cannaregio? Ihre Geschwindigkeit und der Nebel machten es ihr unmöglich, etwas zu erkennen, an dem sie sich orientieren konnte. Bei jeder Abzweigung betete sie darum, dass sie nicht in einem Innenhof, einer Sackgasse oder direkt in einem Kanal landete. Sie lief so schnell wie noch nie in ihrem Leben, ihre Lunge zog in großen Schüben die Luft ein, Schweiß rann über ihre Stirn, ihre Kleider klebten auf ihrer Haut. Lange konnte sie dieses Tempo nicht mehr durchhalten. Als sie sich erneut umwandte, war Francesca sich absolut sicher, dass sich ihr Vorsprung vergrößert hatte. Doch sie hatte sich getäuscht. Mit Schrecken erkannte sie, dass sich das Wesen ihrer Geschwindigkeit anzupassen schien. Schlimmer noch, es holte sogar mit jedem Schritt ein klein wenig auf.
    Peng!
    Francesca fuhr so erschrocken zusammen, dass sie fast gestolpert wäre. Über ihr begannen die Lichter der Gasse zu zerplatzten, eines nach dem anderen, die Scherben fielen mit lautem Klirren zu Boden. Dann war es plötzlich still und Francesca stand in absoluter Finsternis.
    Hilflos streckte sie ihre Hände aus. Keine Panik, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Sie musste sich nur auf ihr Gehör und ihren Tastsinn verlassen, genau wie Fiorella! Ihre Fingerspitzen glitten zu beiden Seiten über raues Mauerwerk, das sich wie spitze Nadeln in ihre Haut bohrte. Ihr Körper sträubte sich dagegen, trotz der Dunkelheit weiterzulaufenund es kostete sie all ihre Überwindung, in einen leichten Laufschritt zu fallen. Sie durfte auf keinen Fall stehen bleiben!
    Hinter sich hörte sie das Rascheln eines Umhangs.
    Das Geräusch hätte sie überall wiedererkannt. Hunderte Male, nein, Tausende Male hatte sie dieses Geräusch schon durch das Dunkel verfolgt. Die Erkenntnis traf Francesca wie ein Schlag. Das Rascheln des Umhangs, das eng stehende Mauerwerk, der Geruch nach Tang, Salz und Feuchtigkeit: Alles hier war wie in dem Albtraum, der sie seit frühester Kindheit Nacht für Nacht quälte!
    Sie beschleunigte, rannte nun fast wieder, trotz der Dunkelheit und des glitschigen Kopfsteinpflasters. Vorwärts, immer nur vorwärts, nur nicht an einer Stelle verharren!
    Da – seine Schritte …
    Sie stöhnte auf. Es war schon zu nahe, viel zu nahe. Wider besseres Wissen wandte sie sich um, doch ihre Augen konnten die Schwärze der Nacht nicht durchdringen. Dann verloren ihre Füße für einen winzigen Moment den Halt. Francesca rutschte aus und fiel. Sofort erinnerte sie sich an ihren letzten Traum, in dem sie sich ihren Knöchel gebrochen hatte. Das durfte ihr dieses Mal nicht passieren! Verzweifelt streckte sie ihre Hände aus und verlagerte ihr Gewicht nach vorne. Als sie mit voller Wucht auf ihre rechte Hand fiel, entfuhr ihr ein spitzer Schrei. Es fühlte

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