Die Schattenträumerin
garantiert nicht! Wir dürfen nichts riskieren und deswegen übergibst du ihm noch heute das Necronomicon!«
So langsam riss Francesca der Geduldsfaden. »Was glaubst du eigentlich, warum er dieses Buch unbedingt haben möchte?«, fuhr sie Gianna an. »Mit Sicherheit nicht, weil er ein leidenschaftlicher Büchersammler ist. Er hat etwas damit vor und zwar nichts Gutes. Wir wissen mittlerweile alle, wie mächtig dieses Buch ist und in den falschen Händen kann es zu einer gefährlichen Waffe werden. Die Zeit, die uns bleibt, müssen wir dazu nutzen, nach einem Ausweg zu suchen! Vielleicht finden wir in Knüttelsiels Abhandlung etwas, das uns weiterhilft.«
Die vergangene Nacht hatte Francesca damit verbracht, die Abhandlung zu studieren. Nach jahrelanger Recherche hatte Professor Knüttelsiel einen Sammler ausfindig gemacht, der fünf einzelne Seiten des Necronomicons in seinem Besitz hatte, die wie durch ein Wunder der Vernichtung entgangen waren.
Der Professor führte damit einige Experimente durch und fand beispielsweise heraus, dass Kinder weniger empfänglich für die Kräfte des Necronomicons waren. Er war der Überzeugung, dass es sich bei den Schriftzeichen des Necronomicons um eine uralte vergessene Sprache handelte. Mithilfe von Steintafeln, die er in der Wüste gefunden hatte, versuchte er sich sogar an einer Übersetzung. Knüttelsiel glaubte, dass es sich um eine unvorstellbar machtvolle Sprache handelte, die alles Böse in sich vereinte – doch es gab darunter auch einige gute Schriftzeichen, die die schlechten neutralisieren konnten. Knüttelsiel führte mit den fünf Seiten des Necronomicons sogar eine, wie er beteuerte, gefahrlose Beschwörung durch, bei der erein Spiegelpentagramm mit eben diesen guten Zeichen benutzte.
Er hatte die Theorie, dass das Necronomicon den »Jenseitigen« ein Portal in unsere Welt öffnen sollte. Dabei handelte es sich um eine Art dämonische Albtraumwesen, die nur im Dunkeln existieren und sich in menschliche Träume einschleichen konnten. Doch damit sie vollständig in unsere Welt gelangen konnten, musste ein Mensch das Necronomicon benutzen.
»Hier!« Sie reichte Gianna ein Blatt mit ihren Notizen. »Der Professor ist ganz und gar kein Spinner. Einiges, was in den letzten Tagen hier geschehen ist, wird in seiner Abhandlung exakt beschrieben.«
Die Macht des Necronomicons wird in dem schwarzen Nebel sichtbar, mit dem es seine Umgebung abtastet. Umhüllt der Nebel erst einen Menschen, hört er die Stimme des Necronomicons in seinem Kopf. Sie lockt ihn und treibt ihn in den Wahnsinn. Kann die Macht des Buches nicht eingedämmt werden, dann wird der Weg für die Jenseitigen bereitet. Wer sich länger in der Nähe des Necronomicons aufhält, wird fremdartige Schattenwesen in seinem Zimmer umhergehen sehen, Furcht einflößende Geräusche und den Geruch von Fäulnis und Verwesung wahrnehmen. Es wird den ersten Jenseitigen gelingen, durch das Portal zu treten, allerdings nur für kurze Dauer und mit einem Bruchteil ihrer eigentlichen Macht.
Deswegen sucht das Necronomicon nach einem geeigneten Leser, der das Dimensionsportal öffnet, indem er die Jenseitigen in Gestalt von Fluchdämonen in unsere Welt holt. Doch das Necronomicon entreißt dem Leser seinen freien Willen, seinen Verstand,seine Menschlichkeit. Der Mensch wird zu einer Marionette, die es steuern kann.
Gianna überflog die Notizen mit hochgezogenen Augenbrauen. »Das meiste davon habe ich schon gestern in der Bibliothek gelesen.« Sie schleuderte den Zettel zurück auf den Schreibtisch. »Das bringt uns keinen Schritt weiter!«
»Ich glaube doch!«, widersprach Francesca mit schneidender Stimme. Giannas herablassende Art ging ihr gewaltig auf die Nerven. »Nyarlath wollte mich mit seiner Drohung nur unter Druck setzen. Er kann Venedig nicht zerstören, ansonsten hätte er es schon längst getan. Aber sobald er den Fluch erfüllt hat, hört er auf, in dieser Welt zu existieren. Doch er will leben. Deswegen braucht er auch das Buch: Er muss es jemandem geben, der dazu bereit ist, die Flüche des Necronomicons zu benutzen. Je mehr Flüche ausgesprochen werden, umso größer wird das Portal – erst dann können er und seine Brüder ungehindert von einer Welt in die andere wechseln.«
Bohrende Zweifel lagen in Giannas Blick. »Woher willst du wissen, dass das wirklich stimmt? Wo ist der Beweis? Du klammerst dich an irgendwelche Vermutungen. In Wirklichkeit hast du nur Angst, dass du ohne das Buch nicht
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