Die Schattenträumerin
du, es war wirklich klug, das Krankenhaus auf eigene Verantwortung zu verlassen?«
Natürlich war sie dankbar, dass Fiorella wieder zu Hausewar. Trotzdem sah ihre Großmutter mit dem eingegipsten Arm und der erschreckend blassen Gesichtsfarbe nicht wirklich gesund aus.
Fiorella winkte ab. »Von der Gehirnerschütterung merke ich überhaupt nichts mehr und wegen des gebrochenen Armes brauche ich auch nicht dortzubleiben«, verteidigte sie ihre Entscheidung. »Weißt du, ich hasse Krankenhäuser. Es ist immer wieder das Gleiche: Man geht wegen einer Kleinigkeit hin und kommt todkrank wieder heraus.«
Francesca stutzte. Gerade als sie fragen wollte, was Fiorella damit gemeint hatte, ging die Tür auf und Stella kam mit einem Tablett herein.
»Ich bringe die Medikamente und eine kleine Stärkung für dich, Mama«, flötete sie betont fröhlich.
Sie stellte das vollbeladene Tablett auf dem Glastisch ab. Francesca fiel auf, dass Stella rot geränderte Augen hatte, als ob sie geweint hätte. »Viola und ich müssen jetzt leider ins Restaurant. Francesca, du kümmerst dich darum, dass deine Großmutter alle vier Stunden die Schmerzmittel nimmt?«
»Natürlich! Gianna und ich haben doch versprochen, dass wir Nonna versorgen. Mach dir keine Sorgen!«
Stella sah sich suchend um. »Wo ist Gianna eigentlich?«
»Sie hat sich aus dem Staub gemacht, nachdem Nonna verkündet hat, dass ihr heute jemand die Zehennägel schneiden muss«, erklärte Francesca zerknirscht.
Zum ersten Mal stahl sich ein echtes Lächeln in Stellas Gesicht. »Das müsst ihr natürlich nicht machen!«, schnaubtesie amüsiert auf. Sie ging zum Bett, umarmte Fiorella und gab ihr einen Kuss. »Mama, du sollst die Kinder doch nicht immer veräppeln«, flüsterte sie ihr zu.
»Ist gut, ich werde es mir verkneifen«, versprach Fiorella überraschend einsichtig.
»Ihr kümmert euch gut um eure Großmutter, nicht wahr? Meinst du, das geht mit deinem Handgelenk?«
Francesca nickte und hob ihre bandagierte Hand in die Höhe. »Es ist ja nur eine Verstauchung. Außerdem hat Antonio so einen festen Verband gemacht, dass ich überhaupt nichts mehr spüre, nicht einmal meine Finger.«
»Wenn etwas sein sollte, ruft bitte sofort an!«
Stella öffnete die Tür und stieß um ein Haar mit Gianna zusammen, die nun mit geröteten Wangen ins Zimmer gestürmt kam.
»Ist irgendetwas?«, fragte Francesca irritiert. »Hast du etwas herausgefunden?«
Gianna versicherte sich mit einem kurzen Blick, dass die Tür geschlossen war, ehe sie verkündete: »Ich habe mir alles, was gestern Abend geschehen ist, noch einmal durch den Kopf gehen lassen und einen Entschluss gefasst.« Sie holte ein Buch hervor, das sie hinter ihrem Rücken versteckt hatte.
Francesca schnappte entsetzt nach Luft. »Du hast das Necronomicon aus dem Koffer geholt? Bist du verrückt geworden?«
Gianna reckte trotzig ihr Kinn. »Wie gesagt, ich habe nachgedacht und wir haben überhaupt keine andere Wahl, als diesem Nyarlath das Buch zu übergeben. Deswegen solltenwir es am besten so schnell wie möglich hinter uns bringen, ehe die Erdbeben noch schlimmer werden. Ich lasse nicht zu, dass Venedig wegen dieses Buches untergehen wird!«
Francesca schüttelte langsam den Kopf. Das war genau die Reaktion, die Nyarlath erwartet hatte. Sie wusste, wie sehr sich Gianna mit Venedig verbunden fühlte – das zeigten allein schon die vielen Bilder, die sie von der Stadt gezeichnet hatte und die sorgfältig gerahmt in ihrem Zimmer hingen. Doch sie durften nicht in blinde Panik verfallen!
»Gianna, jetzt beruhige dich bitte! Wir haben noch bis morgen Abend Zeit. Bis dahin können wir vielleicht herausfinden, wie wir den Fluch aufheben können.«
»Ach ja? Und was ist, wenn er bemerkt, dass du ihn belogen hast?«, fragte Gianna bissig. »Oder hast du etwa immer noch vor, bis dahin nicht mehr zu schlafen?«
Francesca schluckte schwer. Das war in der Tat ein Schwachpunkt ihres Plans. Immerhin hatte sie schon die zweite Nacht in Folge nicht geschlafen. Gianna hatte ihr die Zeichen der Traumgondel zwar auf einen Zettel gemalt, aber Francesca traute diesem Provisorium nicht. Was, wenn es nicht funktionierte? Wobei die Verlockung, es einfach auszuprobieren, stetig größer wurde. Die Müdigkeit zog an jedem Muskel ihres Körpers wie mit bleiernen Fäden. Zu gern hätte sie sich einfach ins Bett gelegt und für einen kurzen Moment die Augen geschlossen.
»Ich schaffe das«, murmelte Francesca.
»Das wirst du
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