Die Schattenträumerin
mehr den Fluch der Medicis von dir abwenden kannst! Die Gefahr, in der sich Venedig befindet, ist dir dabei vollkommen egal. Aber etwas anderes war ja wohl nicht zu erwarten«, fügte sie kaum hörbar hinzu.
Francesca stutzte. »Was willst du denn damit sagen?«
»Was ich damit sagen will?«, rief Gianna völlig außer sich. »Du willst riskieren, dass dieser Dämon Venedig zerstört,unsere Heimat. Meine Heimat. Dir ist es egal, ob all das hier –«, sie machte eine allumfassende Geste mit der Hand, »auf dem Meeresgrund versinkt. Du und deine Mutter seid doch gar kein richtiger Teil unserer Familie – ihr kommt immer nur her, wenn es euch gerade in den Kram passt. Du bist nicht einmal hier geboren. Hier ist nicht dein Zuhause.« Tränen funkelten in ihren Augen. »Aber ich lasse nicht zu, dass wegen dieses elenden Buches Venedig untergeht!« Sie schleuderte das Necronomicon voller Wut auf den Boden.
Francesca taumelte zurück. Sie fühlte sich, als hätte ihr Gianna soeben eine Ohrfeige verpasst. Nie hätte sie erwartet, dass Gianna so von ihr dachte. Dabei hatte ihre Cousine nur das ausgesprochen, was sie selbst schon immer gespürt hatte. Warum also versetzten ihr Giannas Worte so einen tiefen Stich?
»Schluss jetzt, ihr beiden!«
Erschrocken sahen die Mädchen zu Fiorella hinüber, die trotz der streng verordneten Bettruhe aufgestanden und zu dem am Boden liegenden Necronomicon gelaufen war. Schwerfällig bückte sie sich nach dem Buch.
Sofort meldete sich in Francesca das schlechte Gewissen. Sie stritten hier herum, während ihre Großmutter eigentlich Ruhe brauchte – dabei hatte sie Stella eben noch versprochen, dass sie sich gut um Nonna kümmern würde! Fiorella wankte zum Bett zurück und ließ sich auf den Rand sinken.
»Ob es uns gefällt oder nicht, wir besitzen dieses Buch und damit tragen wir eine große Verantwortung«, sagte sie mit vor Anstrengung brüchiger Stimme. »Deswegen gebeich Francesca recht: Wir müssen gut überlegen, wie wir weiter vorgehen. Vor allem dürfen wir unsere Zeit nicht mit Streitigkeiten verplempern.« Sie setzte eine erwartungsvolle Miene auf. »Gianna, ich denke, du hast deiner Cousine etwas zu sagen!«
Gianna hielt die Arme vor der Brust verschränkt und einen Moment lang schien es so, als hätte sie Francesca nicht das Mindeste zu sagen. Fiorella trommelte ungeduldig auf das Buch, das auf ihren Knien lag. Schließlich ließ Gianna geschlagen die Arme sinken.
»’tschuldigung«, sagte sie leise.
»Francesca?«
Francesca schluckte schwer. »Mir tut es auch leid.«
Fiorella nickte zufrieden. »Gut, dann ist die Sache hiermit geklärt.«
Sie hob das Buch in die Höhe. »Nun sollten wir …« Fiorella hielt inne und runzelte die Stirn. Sie fuhr mit ihren Fingern den Buchrücken entlang.
»Was ist denn das?«, murmelte sie kaum hörbar.
Francesca trat neben sie. »Hast du etwas gefunden?«
»Hier ist etwas im Leder eingeprägt«, meinte Fiorella und betastete intensiv den unteren Teil des Buchrückens. »Das … das ist unser Wappen. Das Wappen der Medicis.«
Nun beugte sich auch Gianna über das Buch. »Ich sehe überhaupt nichts.«
»Heilige Madonna, seid ihr blind oder ich?«, knurrte Fiorella ungeduldig. »In meinem Schreibtisch müsste eine Lupe sein, aus der Zeit, als ich noch einen Rest meiner Sehkraft hatte.«
Die Mädchen zogen hektisch alle Schubladen auf. Es dauerte quälend lange, bis sie die besagte Lupe gefunden hatten. Atemlos traten sie mit dem Buch zum Fenster, um besser sehen zu können. Im hellen Tageslicht entdeckte Francesca tatsächlich eine Einprägung, die ihr bisher nicht aufgefallen war. Einst war sie wohl in goldener Farbe gezeichnet gewesen, denn in den Vertiefungen leuchteten noch winzige Farbsprenkel. Unter der Lupe war eindeutig ein Schild zu erkennen, in dem fünf Kugeln schwebten, gekrönt von einer weiteren Kugel, in die drei Lilien eingefasst waren.
Zugegeben, die Lilien waren nur mit sehr viel Fantasie zu erkennen, trotzdem war es zweifellos das Wappen der Medicis.
»Das gibt es doch nicht …«, hauchte Gianna.
Francesca ließ die Lupe sinken. »Das Necronomicon ist unser Buch.«
Hatte Nyarlath ihr nicht erzählt, dass dieses Buch immer wieder in die Hände eines Medicis zurückkehren würde? Nun wusste sie auch, weshalb dies so war. Einer ihrer Vorfahren hatte dieses teuflische Buch auf die Medici-Familie geprägt!
»Sieh mal, unter dem Wappen steht noch etwas«, stellte Gianna fest.
Francesca beugte sich
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