Die Schattenträumerin
kann es losgehen!«
Gianna schwieg. Ihre zusammengezogenen Augenbrauen machten deutlich, was sie von alldem hielt.
Francesca fasste sie an den Schultern und sah ihr in die Augen. »Glaub mir, das ist die einzige Lösung. Das hat auch unser Großvater erkannt.«
»Das weißt du doch überhaupt nicht!«
»Ich bin davon überzeugt, dass Großvater genau dasselbe geplant hat. Wahrscheinlich wäre alles anders gekommen, wenn Baldini ihm nur richtig zugehört hätte«, erklärte Francesca. »Bevor Großvater an jenem Abend ins Antiquariat gegangen ist, hat er Fiorella versprochen, dass ein neues Leben für sie beginnen werde. Er wollte das Necronomicon benutzen, aber nicht, um sich Macht oder Reichtum zu verschaffen. Er wusste, dass es nur einen einzigen Weg gibt, in Erfahrung zu bringen, wie man die beiden Flüche aufheben kann: Man muss Alessandro di Medici beschwören. Und genau das werde ich jetzt machen.«
»Aber das darfst du nicht, selbst wenn du damit recht hast!« Gianna schüttelte entschieden den Kopf. »Das Necronomicon ist böse, wir haben es selbst erlebt. Es ist absolut verrückt, die Macht des Buches auch noch zu benutzen!« In ihren großen braunen Augen lagen Unverständnis und Sorge. »Großvater hat in seinem Brief geschrieben, dass es unglaublich gefährlich ist, was er vorhat. Er hat sogar damit gerechnet, dabei zu sterben – ansonsten hätte er Cecilia überhaupt nicht erst geschrieben. Wie kannst du nur glauben, dass du diesen Mächten standhalten kannst?«
Um Giannas bohrendem Blick auszuweichen, bückte sich Francesca hastig und zog mit dem Kohlestift eine Ecke des Pentagramms nach. »Im Gegensatz zu Großvater kann ich für die Beschwörung das Spiegelpentagramm aus Knüttelsiels Abhandlung benutzen«, antwortete sie und versuchte dabei, jede Unsicherheit aus ihrer Stimme zu verbannen. »Solange ich in meinem Schutzpentagramm stehen bleibe, kann mir nichts passieren.«
»Aber wenn dieser Knüttelsiel wirklich ein Spinner ist und dein Schutzpentagramm überhaupt nichts hilft?«, konterte Gianna. »Dann stehst du gleich einer Horde Dämonen gegenüber und bist ihnen vollkommen ausgeliefert.«
Nach einem unangenehmen Moment des Schweigens räusperte sich Francesca. »So negativ würde ich meine Chancen eigentlich nicht einschätzen«, meinte sie mit hochgezogenen Schultern. »Ich könnte ihnen zum Beispiel etwas von der Lasagne, die Stella gestern gekocht hat, anbieten. Die würde die Dämonen wahrscheinlich umbringen.«
Gianna verdrehte die Augen, brachte aber ein kleines Lächeln zustande. »Ich habe Mama vorgeschlagen, dass sie die Lasagne als Kohlebrikett verwenden soll«, gestand sie schmunzelnd.
»Man könnte damit aber auch den Palazzo stabilisieren, falls er nach dem nächsten Erdbeben zur Seite kippen sollte«, schlug Francesca vor und stimmte prustend in Giannas Gelächter ein.
Arme Stella, zum Glück konnte sie nicht hören, für was für Heiterkeitsausbrüche ihre Kochkünste sorgten!
Gianna wurde wieder ernst und trat an Francesca heran. »Ich mache mir doch nur Sorgen um dich.«
»Aber ich habe keine andere Wahl, Gianna. Ich muss das Risiko eingehen.«
Ihre Cousine nickte schweigend, dann drückte sie Francesca einen silbernen Fingerhut in die Hand. »Hier, den habe ich aus dem Nähkästchen geholt. Dann musst du das Buch nicht direkt berühren.«
Francesca steckte ihn sich auf den Zeigefinger. Er passte wie angegossen, auch wenn damit das Umblättern nicht ganz einfach werden würde. Ihr rechter Arm sah nun reichlich merkwürdig aus: An jedem Finger trug sie mindestens zwei Silberringe und über dem Verband ihres verstauchten Handgelenks reihten sich sämtliche Armreifen, die sie im Karton des Necronomicons hatte finden können. Der Fingerhut bildete nun die Krönung dieses Schmuckarrangements. »Danke, jetzt habe ich eine fast perfekte magische Rüstung.«
»Ich stehe draußen vor der Tür und passe auf, dass niemand reinkommt. Wenn du Hilfe brauchst, rufst du mich, okay?«
»Natürlich«, versprach Francesca, obwohl sie wusste, dass sie es nicht tun würde. Wenn das Spiegelpentagramm nicht wirkte und mit der Beschwörung etwas schieflief, würde ihr Gianna auch nicht mehr helfen können.
Nachdem ihre Cousine den Ballsaal verlassen hatte, schloss Francesca leise die Tür ab und steckte sich den Schlüssel in die Tasche. Nicht nur, damit Gianna sich nicht selbst in Gefahr brachte, sondern auch, damit nichts ausdem Saal entkommen konnte. Immerhin wusste sie
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